"Ich habe gestern ein Kaufangebot bekommen von der Friedhofsverwaltung, ein Grab zu kaufen. Und das war ja mein Ziel. Ich wollte ja eine Grabstätte kaufen, nachdem das Familiengrab der Ruhenstroths 1945 zerstört wurde und dann an andere Interessanten vergeben wurde. Aber ich wollte einfach einen Stein der Erinnerung haben. Nicht das ganze Grab oder alle die Daten die da sind. Und wir haben ein Grab gefunden und das habe ich jetzt gekauft.
Meine Absicht ist, dass ich zur Lebzeit, aber auch meine Familie und noch mehr meine Nachfahren einen Erinnerungspunkt haben irgendwo in der Welt, wo unsere Familie Jahrhunderte lang war, und das war der Friedhof in Troppau. Aber ich will das ohne großes Rundum machen, sondern das ist ein Stein und da steht nur der Name Ruhenstroth."
"In der Nähe, ob durch Kriegseinwirkung oder wie, weiß ich nicht, jedenfalls hat das Haus gebrannt und die Russen wollten das löschen und haben die Deutschen rausgeholt, die Männer. Und während die draußen waren, das hat ja glaube ich einen Tag gedauert oder vielleicht sogar länger, das weiß ich nicht ganz genau. Während dessen kam das Gerücht zu den Frauen, dass alle Männer von den Russen gefangen genommen und abtransportiert worden sind. Das war für Frauen die also um die fünfzig und sechzig Jahre alt waren so gut wie ein Todesurteil. Die konnten allein gar nicht mehr existieren. Und in dem Haus, in dem die untergebracht waren, das ich selber dann später gesehen habe, war ein Arzt mit seiner Praxis da. Und diesen Arzt haben die Frauen veranlasst, sie mit einer Spritze zu töten. Und wie die Männer dann am Tag zurückkamen in das Haus, lagen die alle tot da. Da blieb meinem Vater nichts Anderes übrig als meine Mutter auf eine Schubkarre zu laden, aufs Feld rauszugehen, ein Grab zu schaufeln und bitterlich zu weinen."
"Der Partisaneneinsatz war von vorne, wie sagt man, ein Todesauftrag. Da sind auch viele Soldaten auch auf meiner Seite einfach totgeschossen worden. Direkt von den Amerikanern, die an der Atlantikküste in der Zwischenzeit gelandet waren. Die Franzosen haben diese amerikanischen Truppen dadurch unterstützt, dass sie als Partisanen eingesetzt wurden und zwar meistens hinter der Front. Also mussten wir in dem Falle als Fallschirmjäger auch hinter der Front kämpfen. Und da gab es keine Gefangenen. Da gab es nur: entweder schießt man den anderen tot oder man zieht sich überhaupt zurück. So etwas gab es ja auch. Dass Leute plötzlich verschwunden waren, die das nicht mehr ertragen konnten."
"Da waren wir nur noch im Erdeinsatz und da habe ich schlimme Dinge erlebt. Sehr schlimme Dinge. Da habe ich also einmal voll Verzweiflung an meine Eltern nach Hause geschrieben was das für einen Menschen bedeutet, wenn er andere Menschen totschießen muss. Ich war halt so jung, wissen Sie, dass ich das so auf eine Karte geschrieben habe. Und das ist bei der Kontrolle von meinen militärischen Vorgesetzten beanstandet worden und dafür habe ich dann zwei Tage Arrest bekommen."
"Aber plötzlich waren wir Deutsches Reich. Stellen Sie sich vor, ein dreizehnjähriger Junge, wie begeistert der zusieht, wie da die Soldaten einmarschieren. Wie der General vorne hoch zu Ross sitzt. Wie die Tanks hinten nachgefahren kommen. Das war für uns ein großes Erlebnis. Und je länger, je älter man wird, je älter man wurde, und je mehr man auch schon Erfahrungen sammeln konnte und dann selber Soldat wurde und im Feldeinsatz war, desto mehr hat diese Begeisterung abgenommen."
Ich will ein Grab in Troppau – nur ein Stein mit dem Namen Ruhenstroth
Wolfram Ruhenstroth-Bauer wurde am 1. Frebruar 1925 in Troppau (Opava) in der Familie eines klassischen Philologen aus Wien und einer ostpreußischen Königsbergerin (heute Kaliningrad), Margareta, geboren. Sein Großvater war der Arzt und Politiker Gustav Adolf Ruhenstroth und Leiter des Troppauer Krankenhauses. Wolfram legte im Frühling 1943 dort sein Abitur ab und wurde am Tag danach zur Wehrmacht berufen, zunächst in ein Ausbildungslager im besetzten Polen und danach verbrachte er ein halbes Jahr bei den Fallschirmjägern. An der Front erwartete sie jedoch nur ein einziger Absprung, nach dem seine Einheit den Bodentruppen im Kampf gegen die Partisanen zugeteilt wurde. Dort fiel er für ein halbes Jahr in britische Gefangenschaft. Nach dem Krieg ließ er sich in Bayern nieder. Ein Bruder fiel an der Front in Italien. Nach einem Jahr kam auch sein verelendeter Vater nach Bayern, verbannt aus Troppau und Umgebung. Die Mutter war durch tragische Umstände 1945 gestorben, nach dem sie aufgrund falscher Informationen über die Entsendung des Ehemannes in sowjetische Gefangenschaft einen Arzt um eine Todesspritze gebeten hatte. Der junge Wolfram studierte in Freising Landwirtschaft und verbrachte sein gesamtes Arbeitsleben auf höheren Amtspositionen in verschiedenen Ministerien. Er widmete sich u.a. intensiv der Eingliederung vertriebener osteuropäischer Deutscher in deutsche Gesellschaften und den Ausbau der Zusammenarbeit. Er erhielt eine Reihe von Auszeichnungen, zu den herausragendsten gehört die Ehrenstaatsbürgerschaft von Paraná in Brasilien. Der begabte Amateurpianist besuchte seinen Geburtsort zum ersten Mal in den 60er oder 70er Jahren. Nun hat er sich ein Grab auf dem Troppauer Friedhof gekauft, damit seine Nachkommen den Ort nicht vergessen, wo die Familie über Jahrhunderte lebte.
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