Margarete Koppe

* 1928

  • "Der Sammellager in Saatz, wo wir die sechs Wochen waren, ja. Wir waren also am Dorf und von dem Dorf sind wir nach Saatz in diese leere Wohnsiedlung gekommen, die (ehemaligen Einwohner) waren ja alle weg. Da hat es Stockbetten mit Strohmattrazen gegeben. Und von dort mussten wir auch rausgehen, es war ein geschlossenes Gebiet, aber es war gottseidank Sommerzeit. Da war gerade ein Tisch und ein Stuhl drinnen. Für alle. Ein Stuhl. Es war winzig kleiner Zimmer. Und wir mussten tagsüber an der Bewachung vorbei, jeweils hat man Order gekriegt, wo man hin muss. Und wir wurden abgeholt da, zur Arbeit. Ich weiß noch, dass ich Flaschen abwaschen musste, in der Ziegelei mussten Manche schwere Sachen machen, schwere Möbel schleppen. Früher hat man ja nur diese Massivholzmöbel gehabt, alles ist weggekommen. Und abends waren wir halt drinnen und man durfte nirgendswo raus. Ich habe mich mit dem Abschreiben von dem BdM-Liederbuch beschäftigt. Und wir haben auch viel gebetet. Mit Gott bist du nie allein, das ist auch eine alte Weisheit. Und das Lager? Das sie da standen? Von denen haben wir natürlich schon Angst gehabt. Von dieser Wache, die da kontrolliert hat."

  • „Ja, erstens einmal mussten wir das ´N´ tragen, die weiße Binde, oder den Buchstaben. Eine weiße Binde mit dem schwarzen ´N´ drauf. Manche haben da (an der Brust) etwas gehabt. Man durfte nicht am Gehweg gehen, nur auf der Straße. Das war die Vorschrift, aber es hat sich nicht jeder daran gehalten. Dann hat uns mein Bruder Briefe geschrieben, der kam als Vierzehnjähriger zur Zwangsarbeit ins Tschechische. Bei Olmütz in ein Dorf, jetzt fallt mir der Name nicht ein. Ich habe es nachher besucht. Er hat vier Pferde besorgen müssen, mit Vierzehn Jahren.“

  • „Nach ein paar Tagen, vielleicht so einer Woche, kam dann schon der neue tschechische Pfarrer, Hroznata. Da muss ich sagen, das war ein halber Heiliger. Mann hatte immer sonst gerne den tschechischen Geistlichen nachgesagt, sie seien erst national und dann christlich. Aber das stimmte bei diesem Pfarrer überhaupt nicht. Der war eingesetzt als neuer Pfarrer. Und da meine Mutter Orgel spielen konnte, in der Kirche war aber nur ein Harmonium mit Blaseball, da haben wir Kinder fleißig Blaseball getreten. Ich muss aber dazu sagen, dass unsere Familie zu den wenigen des Dorfes, die zu dem neuen tschechischen Pfarrer in die Messe gingen. Meine Mutter, wie wir oft in Toleranz aufgeklärt wurden, meine Mutter hat gesagt: ´Wir gehen zu dem neuen Pfarrer, ob er Tscheche, oder Chinese oder sonst was ist. Wir gehen wegen dem Herr Gott in die Messe.´ Und meine Mute hat auch fleißig georgelt. Und dann sind wir so alle drei Wochen etwa, alle vier Wochen von dem Pfarrer und seiner „kuchařka“ zum Mittagessen eingeladen worden, aber das musste ein Bisschen heimlich, still geschehen. Das durften die anderen Leute nicht so mitkriegen, auch nicht die ersten Tschechen, die da kamen und sich ein Haus ausgesucht haben und die aus dem Haus vertrieben haben. Uns war es ja egal, wir hatten nichts mehr, wir haben nur das Zimmer wechseln müssen. Und der Herr Pfarrer sagte natürlich: ´Ach, Frau Koppe, kann ich Sie nicht im Haus behalten, das geht nicht, aber sorge ich für ein Zimmer.´ Also hat er gesorgt und hat uns immer eingeladen. Und dann mussten wir ja arbeiten gehen, über den ´Národní výbor´.“

  • „Wir haben in Troppau in der Grätzer Straße gewohnt. Und ich sagte schon, gegenüber war der Eingangsweg zum Drei Hahnen Saal. Und wie wir in Troppau ankamen, im Sommer, das weiß ich noch ganz genau, da war gerade der Aufmarsch von den SS, oder weiß ich was, in diesem Drei Hahnen Saal. Der ganze Weg war voller Fahnen, und an den Seiten auch Fahnen. Und wir, meine Mutter mit uns drei Kindern, kamen von der Stadt oder vom Bahnhof. Der Bruder Helmut, der war der klügste von uns allen, der war in 38 sieben, 1931 ist er geboren. Und auf einmal rief er laut: „Mutti, schau, wie im Zirkus!“ Und meine Mutter: „Um Gottes Willen, komm jetzt!“ Wenn es einer gehört hatte, das wäre halber Mord und Todschlag gewesen. Aber Kinder und Narren sagen die Wahrheit.“

  • Celé nahrávky
  • 1

    Pegnitz, SRN, 14.07.2020

    (audio)
    délka: 01:57:36
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Hätte es auch die guten Tschechen nicht gegeben, wäre die Umsiedlung für uns viel schmerzhafter gewesen

Margarete Koppe, Pegnitz, 2020
Margarete Koppe, Pegnitz, 2020
zdroj: Post Bellum

Margarete Koppe wurde am 17. Juli 1928 in Troppau (Opava) in der deutschen Familie eines Finanzbeamten und einer Klavierlehrerin geboren. Durch die Anstellung des Vaters verbrachte sie ihre jüngste Kindheit in Iglau (Jihlava), doch der Geburtsort des Vaters, Jungferndorf im Kreis Freiwaldau (Kobylá nad Vidnavkou, okres Jeseník) symbolisiert ihre Heimat. Im Sommer 1938, am Vorabend des Münchner Abkommens und der Eingliederung des Sudetenlandes ins nationalsozialistische Reich, wurde Rudolf Koppe zurück nach Troppau versetzt. Trotz der angeblich eher antinazitischen Einstellung des Vaters war Margarete beim Bund deutscher Mädels. Im September 1944 wurde der Vater einberufen und fiel in Frankreich in Gefangenschaft, so dass sich die Familie erst nach der Vertreibung wieder traf. Ende Januar rückte die Front an Troppau heran und die Koppes evakuierten sich aus der Stadt. Das Kriegsende verlebten sie im nordtschechischen Stankowitz (Staňkovice), wo sich ihnen der neue tschechische Pfarrer Vater Hroznata annahm, an dessen menschliche Zugewandtheit sich Frau Koppe bis heute dankbar erinnert. Von der Stankowitzer Pfarrei aus konnte Margarete den Fußmarsch der Saazer Männer nach Postelberg verfolgen, wo sie mehrheitlich massakriert wurden. Die Wochen vor der Vertreibung verbrachten die Koppes interniert im entvölkerten Saaz und wurden am 13. Mai 1945 in geschlossenen Viehwaggons nach Deutschland abgeschoben. Die erste Zeit nach der Vertreibung verbrachte Frau Margarete im zerbombten Schweinfurt, beendete nach Jahren ihre Ausbildung und begann als Lehrerin zu arbeiten. 1968 besuchte sie mit ihrem Vater zum ersten Mal die Tschechoslowakei. Seitdem fährt sie regelmäßig in ihre ehemalige Heimat.