Der Mensch fühlt sich mit seinem Geburtsort verbunden, aber als Heimat lässt der sich nach der Vertreibung nicht mehr bezeichnen
Helmut Hempel wurde am 14. August 1938 in der Gemeinde Kohlige geboren, heute ein Teil von Grottau (Uhelná, Hrádek nad Nisou), die unmittelbar nach der Annexion des Sudetenlandes administrativ dem nahen Wenzige (Václavice) angegliedert wurde. Der Vater Erich kam aus Sachsen und hatte, obwohl er nahezu sein ganzes Leben in Böhmen gelebt hatte, die deutsche Staatsbürgerschaft. Helmut kannte ihn in seiner Kindheit fast nicht, denn er musste gleich ab 1939 dienen und kehrte nach dem Krieg aus amerikanischer Gefangenschaft nicht mehr nach Böhmen zurück. Im September 1944 begann Helmut in die deutsche Schule in Wenzige zu gehen, die jedoch nur bis Mitte April 1945 funktionierte, als sie fast alle verließen. In Kohlige verkörperte man mit der bevorstehenden Kapitulation die sich zurückziehenden deutschen Soldaten, die vom 5. auf den 6. Mail bei den Nachbarn in der Scheune übernachteten, die ein sowjetischer Abfangjäger beschoss. Die Rote Armee kam am 8. Mai 1945 nach Kohlige. Nach ihrem raschen Abzug erschienen neue tschechische „Herrscher“ und die Hempels, als Familie von Reichsdeutschen, wurden bereits am 16. Juni 1945 als eine der Ersten vertrieben. Zu Fuß liefen sie den ganzen Tag über das Gebiet des neu verschobenen Polens bis ins deutsche Zittau (Žitava) und mussten nach einigen Wochen in einen neuen Abtransport, diesmal per Zug. Bis 1946 lebten sie dann in der ostdeutschen Gemeinde Pritschönau. Der Vater Erich versuchte nach der Freilassung aus der amerikanischen Gefangenschaft schwarz zu ihnen in die sowjetische Zone zu gelangen, wurde aber an der Grenze gefasst und für drei Tage festgehalten. Erfolgreicher war am Ende die Mutter, die in Gegenrichtung mit Hilfe bezahlter Schleuser 1946 mit dem kleinen Helmut ein die Besatzungszonen von einander teilendes Flüsschen in Thüringen nahe der Stadt Fulda überschritt. Die frisch vereinte Familie ließ sich schließlich im bayerischen Warmensteinach nieder, wo damals eine Siedlung mit Arbeitszentrum für Gablonzer Glasbläser entstand, zu denen Helmuts Onkel gehörte. In seiner Schmuckfirma lernte Helmut später, der nach einem kurzen Studienaufenthalt in Neugablonz (Nový Jablonec) nach Warmensteinach zurückkehrte und am Ende die Firma übernahm. Er heiratete 1964 eine ebenfalls aus der Tschechoslowakei Vertriebene. Die ältere Schwester Gertrud, die wegen ihrer Beziehung zu ihrem zukünftigen tschechischen Ehemann nicht vertrieben wurde, besuchte Herr Hempel das erste Mal 1966 und hält über Sprachbarrieren hinweg bis heute mit ihren Kindern Kontakt.