"Ja, das war dann die Zeit als wir kurz vor der Entlassung aus der Volksschule, diese 8-jährige, da wollten wir alle Förster werden. Weil das war ein Beruf wo man in der Natur war und bei uns die Förster, die hatten es ja so schön, bei uns die Förster, jeder hatte sein Försterhaus ohne dass er eigentlich was dafür tun musste. Alle anderen mussten sich die Häuser selber bauen. Der Förster konnte herziehen und ist in das Forsthaus eingezogen. Und dann, äh, war ich eben mit meinem Cousin Franz und noch ein oder zwei, sind wir halt viel im Wald gewesen, wollte Tiere sehen, Reh, Hirsch, usw., da sind wir natürlich auch beispielsweise an die Moldauquelle. Also nicht an die Moldauquelle, an die Grenze wo dem nächsten die Moldauquelle, das konnte man ja auf einer Karte ungefähr sehen, wie weit das noch ist. Und da haben wir uns schon das eine oder andere Mal getraut ein paar Meter zu gehen, aber... dann war schon wieder Schluss mit unserem Mut. Wir haben da nie jemanden getroffen. Das war also wenn das ausgestorben gewesen wäre. Das war.... Ende der fünfziger Jahre."
"Ich saß vor der Flimmerkiste, meine Frau war schon zu Bett gegangen und unser Jüngster, die waren in dem Alter, wo man schon mal ausgeht. Und, da war irgendein später Film, ich saß noch da, und unser Sohn Peter, der kam dann, in der Zeit wo ich noch vor dem Fernseher saß, kam nach Hause. Geht zu mir, ich saß irgendwo in einem Stuhl neben dem Tisch, und stellt mir ne Flasche Bier hin. Sagt er „moagst a tschechisches Bier?“. Da sag ich „wo hoast dann jetzt a tschechisches Bier her?“. „Ja, wir war in Kvildá“. Also, Kvildá hat er sicher gesagt. Ja, sag ich: „Wo?“. „Da bei uns.“ „Ah, das gibt’s nicht.“ Ich habs fast nicht glauben mögen. Da sind also diese Jungs, an der Grenze, haben sie sich mit tschechischen Jungs getroffen, die haben die überredet, trotz der damals noch absolut dichten Grenze, mit nach, ins nächste Dorf zu fahren. Und die sind mitgefahren, auf dem Moped oder sonst was und, äh, sind sie mitgefahren und dann hat er mir eine Flasche Bier mitgebracht. Das war das erste was ich von dieser beginnenden Öffnung mitbekommen hab. Dann kamen schon öfter mal, so Besucher, mit denen man sich oben an der Grenze getroffen hat."
"Als ich mit dem Onkel, der hier das Haus gehabt hat, da waren wir mal Fischen, meine Frau hat uns glaube ich unterbrochen. Und damals sind wir mal, äh, die haben ja eine Technik gehabt, dass man die unter den Steinen erwischt. Also die fliehen irgendwo in eine Nische und wenn man dann geschickt ist, kann man sie da mit der Hand greifen, und der Fisch kann nicht mehr weg. Und da sind wir auch auf die tschechische Seite mal, oder er, der Onkel, ich nicht. Und noch ein Freund war dabei. Er ist dann durch diesen fast kein Wasser führenden Bach rüber gegangen auf die andere Seite und hat von drüben, da musste man sich hinlegen auf die Brust und hat dann unten rein gefasst. Er hat nichts erwischt, aber jetzt kamen plötzlich zwei Soldaten oder Grenzer von der tschechischen Seite her. Das, da war ich acht, in der Gegend von acht, acht bis zehn Jahre alt. Oh, jetzt haben wir gedacht „da wird was passieren“. Aber die waren sehr freundlich, haben Deutsch gesprochen, haben Zigaretten getauscht mit meinem Onkel und das war´s schon. War natürlich für die damalige Zeit, für mich als Kind und für meinen Freund auch nen Erlebnis, weil es gab sonst praktisch gar keine Kontakte, keine Begegnungen."
"Ich kann nicht sagen, dass es als Bedrohung wahrgenommen wurde, aber etwas anderes ist bei uns gewesen, nämlich, wir waren am Ende der Welt. Hier war, auch noch durch die Ausformung der Grenze, Sie wissen ja, hier geht’s noch so nach Südosten runter und da haben wir noch hier den Nationalpark und auch Schluss. Wir haben hier nur nach Finsterau rein und man musste immer nur raus, nur eine Richtung gab es für uns. Erst in Freyung auch Richtung Österreich vielleicht abbiegen und Richtung Deggendorf, München usw. Aber hier dieses, diese, eine Sackgasse mehr oder weniger waren wir hier in Finsterau. Das war schon, würde ich sagen sehr belastend."
"Und dann waren wir verheiratet und unsere beide Söhne waren so acht bis zehn Jahre alt und da haben wir gesagt „jetzt treffen wir uns mal“. Und, die durften nicht rüber, jedenfalls nicht als Familie, aber wir durften nach Tschechien fahren, also in die damalige Tschechoslowakei. Und da haben wir ein Visum beantragt und haben uns dann in Prag getroffen. Und dann haben wir ein Lokal, ein Hotel gesucht, schwierig war das, sehr schwierig. In, äh ziemlich weit draußen, im Sporthotel haben wir dann Platz gefunden. Aber das war nicht das gehoben, auf unserer Etage ging die Toilettenspülung nicht, also es war irgendwie so Etagenklo. Aber wir waren froh, dass wir überhaupt was gefunden haben.
Eine kleine Episode noch: In dem Hotel, Sporthotel, äh, da saßen wir, wir haben uns ein bisschen separat von den anderen, es waren nicht viele Leute drin, vorne um den Schanktisch rum saßen ein paar Tschechen und wir haben uns ein bisschen weiter nach hinten gesetzt und haben uns halt viel zu erzählen gemacht. Wir sind geblieben und dann war es irgendwie um die 10 Uhr abends, dann haben sie uns das Licht ausgemacht. Die wollten Feierabend machen oder uns los sein. Und, die waren auch nicht unbedingt ein Ausgeburt an Freundlichkeit oder Höflichkeit. Jedenfalls am nächsten Tag, jetzt tausch ich mal Geld bei denen, so 20 oder 50 DM damals, dem Ober angeboten ob er mir nicht tauschen möchte. Da hat er das Gesicht so gemacht und von da an waren wir gern gesehene Gäste. Die haben gemeint weil der, was hat er denn für einen gehabt, dieser kleine, äh, DDR-Flitzer, der stand draußen... Trabi. Jetzt hat er gedacht, das sind Ossis. Und als ich DM gewechselt hab, war der Mann wie ausgewechselt."
"Es gab einen in Finsterau, den hatten sie den „Schwarzei“ genannt, also den „Schwarzen“, ein kleinerer Mann, also der Schwarzei. Wahrscheinlich vom Schwirzen her. Schwirzen nennt man bei uns das Schmuggeln, oder nannte man des. Schwirzer sind Schmuggler, weil sie sich das Gesicht schwarz gemacht hatten, damit sie nicht leuchten, wenn irgendwas drauf scheint. Also sind die Schwärzer, oder Geschwärzten, Hochdeutsch, schlecht zu übersetzten, aber bayerisch heißts dann Schwirzer. Und der, der hatte anscheinend den Mut und auch das Wissen, wo man rüber kann und noch irgendetwas Wertvolles für drüben. Natürlich Nachrichten, für die drüben gebliebenen. Aber dann haben sie ihn erwischt. Und er wurde 10 Jahre glaube ich, vielleicht hat er auch spioniert, das hat man gemunkelt, das er für die Amis was gemacht hätte oder, jedenfalls hat man ihn drüben erwischt, und er wurde 10 Jahre lang, hat er Bau gekriegt, also Knast. Als er zurück war, war er ein relativ gebrochener Mann, er war, er ist dann so, wie soll ich sagen, schleppend daher gekommen und hat dann auch nicht mehr allzu lange gelebt."
Helmut Haselberger wurde 1942 in Finsterau geboren, wo er bis heute mit seiner Frau lebt. Sie haben fünf Kinder. Finsterau ist ein Dorf in der Gemeinde Mauth im Bayerischen Wald und vier Kilometer von der bayerisch-böhmischen Grenze entfernt.
Seine Familie hatte einen mittelgroßen Hof mit Landwirtschaft. Nach seinem Schulabschluss war Haselberger vier Jahre Zeitsoldat; in dieser Zeit absolvierte er auch seine Ausbildung als Radio- und Fernsehtechniker. Nach Anstellungen in Passau und Freyung arbeitete er bis 1993 bei der Firma Röderstein in Freyung. Seit 1977 lebt er wieder in seinem Elternhaus in Finsterau und betreibt zudem eine kleine Landwirtschaft und vermietet Apartments an Urlauber. Seit den neunziger Jahren ist er als Führer für den Nationalpark Bayerischer Wald tätig.
Haselbergers Familie väterlicherseits stammt aus Hüttl / Chalupky auf der böhmischen Seite der wenige Kilometer entfernten Grenze. Sein Vater heiratete noch vor Kriegsende in eine Finsterauer Familie ein. Die Verwandtschaft aus Hüttl kam nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach Finsterau und ist teilweise dort geblieben.
Für Haselberger war zur Zeit des Kalten Krieges in Finsterau die Welt zu Ende. Von dort konnte man nur in eine Richtung fahren, nach Westen. Er erzählt von Mutproben als Schuljunge, bei denen die Herausforderung darin bestand, die Grenze im Wald zu überschreiten. An der grünen Grenze begegnete er tschechischen Grenzsoldaten mit denen sein Onkel Zigaretten tauschte. Und in Tschechien traf er sich mit Verwandten aus der DDR, denen die Einreise in die BRD nicht möglich war. Von der Grenzöffnung erfuhr Haselberger von seinem Sohn, der ihm überraschend eines Abends ein Bier aus Kvildá mitbrachte. Seitdem hat er zahlreiche Kontakte auf der böhmischen Seite der Grenze, besucht einen Tschechischkurs und ist als Naturführer des Nationalparkes auf grenzüberschreitende Ausflüge spezialisiert.
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