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Heimkehrerin - Ich konnte vollkommen unbefangen zurückkehren
geboren am 6. 7. 1939 in Falkenau [Sokolov]
Brünner Todesmarsch
Schulbesuch in Hannover
danach Ordensschwester
1995 Heimkehr nach Tschechien
Wir hätten gerne Ihre Lebensgeschichte gehört, vielleicht wenn Sie beim Anfang anfangen, wo und wann sie geboren sind …
Also dann fang ich beim Anfang an, gut. Ich bin sogar hier in Tschechien geboren. Meine Eltern sind ja aus Mähren und mein Vater hatte eine Arbeitsstelle im jetzigen Sokolov, damals Falkenau, und ich bin also 1939 dort in Falkenau/Sokolov geboren. Und manche, also die nicht so geschichtlich bewandert sind, die freuen sich dann mit mir: „Ja, in Tschechien geboren!“ Aber zu der Zeit, genau zu der Zeit meiner Geburt war es schon drittes Reich, da wars schon Sudetengau. Gut, und später war mein Vater im, ja, im annektierten Oberschlesien muss man sagen, also war schon Polen, hatte dort eine verantwortliche Aufgabe für verschiedene Firmen, da im ganzen Osten. Ja und 1945 war er, er war auf Geschäftsreise und es war im Januar und ein Angestellter meines Vaters, aus der Firma meines Vaters, also er war Direktor, nicht Eigentümer, nicht Besitzer, der ist also gekommen und hat meiner Mutter gesagt: „Die Russen kommen, sie müssen den nächsten Zug nehmen!“ Und sie wollte gar nicht, sie stand auf dem Standpunkt „Wir haben niemandem etwas gemacht, also macht uns auch niemand etwas.“ Naiv, aber sie war so. Und sie hat sich aber dann entschlossen, gut. Und dann hieß es, ja, im Ofen war der Kuchen, ob er verbrannt ist oder nicht … also es ging Hals über Kopf und ich kann mich noch erinnern, dass ich gejammert hab: „Meine Puppe mit dem rosa Kleid!“ Naja, ich war fünf, fünfeinhalb. Also das war für mich das Wichtigste und meine Mutter hat damals gesagt, wir kommen wieder. Mhh. Das war also nicht der Fall, nur ich bin später nach über 50 Jahren tatsächlich einmal dort gewesen.
Also meine Mutter ist dann mit uns drei kleinen Kindern, ich hab nen Zwillingsbruder und meine Schwester, 2 Jahre jünger. Sie ist nach Brünn gegangen, hierher nach Brno, weil dort ihre Mutter war, ihre Eltern. Ja und da haben wir dann den sogenannten Todesmarsch erlebt. Das heißt ich weiß eigentlich gar nichts, gar nichts. Ich weiß auch nicht warum. Fast nichts. Wir wurden angeblich am 30. Mai um halb sieben Abends aus den Häusern geholt, ich nehm an, das war dann so bekannt gemacht und meine Mutter sagt in Fünferreihen sind wir angeblich durch die Stadt geführt worden, ich nehme an das war nicht Willkür, sondern man hat die einzelnen Leute abgeholt an den verschiedenen Stationen, ne. Also anscheinend war man die ganze Nacht unterwegs, das muss man sich vorstellen – alte Leute, kranke Leute. Das waren dann halt die ersten Leute, die auf dem Weg nach Pohrlitz [Pohořelice] liegengeblieben sind. Ich hatte auch einen … wir hatten also einen Onkel und Tante, so 78, und als mein, wir, als wir dann auch in Pohrlitz waren und meine Mutter, also ihre Tante getroffen hat, hat die gesagt: „Ich bin schon Witwe“ Also sie hat ihren Mann im Straßengraben entweder tot oder sterbend liegen lassen müssen. Und da müssen auch viele liegengeblieben sein, also man hat ja angeblich noch 10 Tage nach dem Todesmarsch den Verwesungsgeruch auf der Straße gerochen. Die wurden ja nicht begraben, die wurden einfach liegen gelassen. Aber wir selber, wir mussten nicht zu Fuß gehen nach Pohrlitz, meine Mutter weiß es nicht, hats nie herausgekriegt, aber wir waren in einem Gefährt, später hat sie gesagt in einem Bus. Ja was heißt Bus, der Zwillingswagen war dabei, also kanns kein normaler Bus gewesen sein, ich nehme an das war so ein Gefährt wo man hinten hochklettern muss, so ein LKW. Und das war gedacht für Alte und Kranke. Und ich sage das deshalb, weil man nie davon etwas liest. Ich hab nur einmal davon irgendetwas gelesen, und es ist doch ein ganz, ganz kleiner Lichtblick in diesem Dunkel der Zeit, dass man wenigstens einen Wagen für diese Leute bereitgestellt hat. Aber meine Mutter hat noch … die war schon 96 Jahre alt, hat sie sich Gedanken gemacht: „Wem hab ich den Platz weggenommen, dadurch, dass der Zwillingswagen da war?“ Ist klar, ja, sie weiß also nicht warum sie, sie war also hoch schwanger, das ist richtig, aber wahrscheinlich hatte sie tschechische Cousins in diesem národní výbor und die haben das vielleicht so gedeichselt, dass sie da auf diesen Wagen kam. Wir wissens bis heute nicht. Also wir sind dann bis Pohrlitz gekommen, dort hat meine Mutter ihren … achso, wer war da? Na, ihre Mutter dabei – wir waren ja eine kleine Gruppe – und ihre Mutter, der Vater nicht, der Opa Havelka war hier zur Zwangsarbeit, und hat auch das deutsche Haus, es hieß, mit abreißen geholfen. Ich nehm‘ an, die habens gesprengt und die anderen, die mussten die Trümmer wegschaffen. Also er war in irgend so ‘nem Lager hier in Brünn, wo man die Leute zwangsweise festgehalten hat. Nja … und dann sind wir in Pohrlitz angekommen und meine Mutter, wie alt war sie? Sie war 33. Und hat sich das angeschaut und hat festgestellt, hier bleiben wir nicht, ist unmöglich. Hier bleiben wir nicht. Und hat die Initiative ergriffen und ist mit uns Kindern, also sie, ihre Mutter, wir Kinder, die Tante Klara und der Onkel Franz, also sieben Personen. Und sie hat, ich bewundere das jetzt noch, hat die Initiative ergriffen und … „Wir gehen weg.“ Und es hat auch, angeblich wars verboten. Ich weiß nicht, ob Leute erschossen wurden. Eine Russin, eine russische Soldatin hat sie angehalten und sie muss zurück ins Lager und hat ihr wohl irgendeinen Zettel gegeben auf dem irgendwas stand oder irgendwie. Meine Mutter hat das ignoriert und wir sind immer weiter und es ist uns nichts passiert. Also immer die Donau hoch und meine Mutter: „Immer weg von den Russen.“ Das war die größte Angst. Das war ja dann schon von den Russen besetzt, dieses Niederösterreich. Weg, weg nur weg! Und … na ich weiß nicht wo wir unterwegs geschlafen haben, ich weiß nicht. Manchmal vielleicht in Scheunen und einmal hat sie nur erzählt, sie hat bei einem Kloster um Windeln oder irgendwie sowas gebeten und hat sich … oder Leintücher, ein Leintuch, so wars, ne … die Geburt stand ja bald bevor. Am 02. August ist mein Bruder geboren. Und dann hat sie sich gedacht, gesagt: „Und wenn die Nonnen mir nichts geben, dann geh ich zum Altar und nehm das Altartuch.“ Ein Priester hat einmal gesagt, das war eine echte Mutter, die hat an ihre Kinder gedacht. Ich hab nur gedacht: „Um Gottes Willen!“ Sie hat aber was Gott sei Dank bekommen, die Schwestern wissen bis heute nicht, was ihnen erspart geblieben ist, was sonst passiert wäre.
Ja und jetzt geht’s um Enns, Enns in Oberösterreich. Wir waren auf der anderen Seite, also noch in Niederösterreich. Meine Mutter wollte immer rüber, zu den Amerikanern rüber. Und dann hat sie anscheinend einen Sowjet-Soldaten beschwatzt und den auch belogen und gesagt: „Ich muss rüber! Mein Mann ist da und er wartet.“ Und ich weiß nicht, was sie ihm alles erzählt hat. Jedenfalls hat er uns nachts rüber gelassen. Das heißt also, dass das verboten war. Und Gott sei Dank waren wir dann drüben. Ja, aber der Vater war ja nicht da. Das war ja …
Wo war er zu der Zeit?
Der war, der ist gefangen genommen worden. Er war zur Zeit des Kriegsendes war er in Prag im Hotel Zlatá husa am Wenzelsplatz. Ich weiß allerdings nicht, was er da alles gesehen hat. Angeblich waren ja die fürchterlichsten Sachen am Wenzelsplatz. Wo man Hitlerjungen aufgehängt hat, unter ihnen Feuer gemacht hat, vorher den Kehlkopf zerstört, damit sie nicht schreien. Es muss … es muss … also gut, das weiß ich nicht. Er hat nie darüber gesprochen. Da wurde er also gefangen genommen, war Zivilgefangener, kam nach Theresienstadt. Davon hat er auch nie erzählt. Also er müsste auf den Listen sein. Und dann wurde er herausgeholt. Nein, dann kam er zur Zwangsarbeit in Plaňany, das ist zwischen Prag und noch irgendwo. Das ist jetzt eine Bushaltestelle. Da war er also in der Landwirtschaft. Der Herr Doktor konnte nicht mal die Ochsen befehligen. Klar, wie sollte er auch? Und später, im Winter, war er also im Steinbruch eingesetzt. Und dort hatte er die Idee, und hat meiner Mutter geschrieben: „Lass die Kinder taufen!“ Also es war so eine Anwandlung von Gläubigkeit bei ihm. Dadurch sind wir also getauft worden, katholisch. Evangelisch waren wir schon vorher getauft, aber das war damals noch so, dass man bedingungsweise nochmal getauft wurde. Heute ist es anders, heute wird die Taufe anerkannt. Und ich weiß noch wie wir … ich das Salz geleckt hab. Da gabs Salz – „Salz der Weisheit“, so hieß das – und dieses Ritual gibt’s jetzt nicht mehr. Ich find das schade. Das ist das einzige, was ich mir gemerkt hab, und das haben sie nun abgeschafft.
Ja und mein Vater, der ist auf eine ganz interessante Weise frei gekommen, nämlich durch Jan Masaryk, dem damaligen Außenminister. Mein Vater hatte in London einen Brieffreund, einen Journalisten, und dieser Journalist hat anlässlich eines Aufenthaltes von Jan Masaryk in London mit ihm persönlich gesprochen und hat um die Freilassung meines Vaters gebeten und der hat das gemacht. Also er hats … mein Vater kam frei und bei uns gibt’s noch das Telegramm „Harald released“ Seit dem ist natürlich Jan Masaryk bei uns ein Held der Familie, klar. Was immer er war oder nicht war, aber er hat unseren Vater befreit. Mein Vater kam dann zurück, angeblich 46 Kilo schwer. Später hat er dann nie was davon gewusst … „Nein, stimmt nicht!“ oder so. Aber mein Vater ist 97 Jahre alt geworden und er wusste schon viele Einzelheiten nicht mehr. Aber meine Mutter sagt, es ist mit 46 Kilo gekommen, also total abgemagert. Und er war in einem Gut, Bauernhof, und dort muss es eine deutsche Großmutter gegeben haben, die ihrem Sohn, tschechischen Sohn oder so, ja sicher, wenn die Mutter deutsch war, der Vater tschechisch, dann war der Sohn also Tscheche, da hat sie ihm gesagt: „Du“ … irgend ein Schimpfwort … „du Trottel, wenn du willst, dass sie für dich arbeiten, dann musst du ihnen ordentlich was zu fressen geben!“ Wahrscheinlich war das so der Ton, den er verstanden hat. Also sie hat sich dann in der Weise eingesetzt. Dann war ich so an ihrem Grab und dann hab ich noch Dankeschön zu ihr gesagt. Ja, ich mein, sie … ich fand das ganz gut, dass sie so argumentiert hat – „Wenn du willst, dass sie arbeiten, dann gib ihnen was.“
Ja und als er dann zurück war in Enns oder so, ich weiß nicht wo er dann … in Linz glaub ich hat er eine Arbeitsstelle bekommen in einer chemischen Fabrik. Aber Doktoren brauchte man nicht, sondern Arbeiter. Er hat also wirklich wieder als Arbeiter angefangen und seine Familie eben ernährt. Und er hat eigentlich nie wieder einen leitenden Posten bekommen. Und das ist mir erst später klar geworden – er war 42 und ich weiß wie oft ich mein … wir sind dann nach Hannover gezogen im Jahr 51 und dort hatte er in der Kali-Chemie eine Stelle und meine Mutter hat immer wieder gesagt: „Euer Vater macht die Arbeit, und der Chef brüstet sich damit.“ Naja. Und da hab ich daraus entnommen, wie schwer muss das gewesen sein, ne. Er war Direktor und das war aus. Und jetzt war er also Arbeiter und was da … eine … für so eine eigentlich menschliche Tapferkeit dazu gehört – das zu ertragen, das anzunehmen, dann für die Familie zu sorgen. Man macht sich das ja erst später klar. So als Kind nimmt man das ja so hin.
Ja und zuletzt waren wir dann also in Hannover 1951. Dort bin ich auch zur Schule gegangen. Mein Vater hat uns zuerst auf die Waldorf-Schule angemeldet. Alle vier, damit wir zusammen sind. Und dann im Zug kamen wir ins Gespräch und dann hieß es „Waldorf-Schule, das is ne Hilfsschule“ Also wurden wir alle wieder abgemeldet und in die nächstliegenden Schulen verteilt. Und ich kam auf eine – meine Oma hat immer gesagt Klosterschule, und ich weiß wie ich mich dann gewehrt hab: „Das ist keine Klosterschule! Das ist eine ganz normale Schule.“ – aber das war kein Ausdruck von Gläubigkeit, es war einfach die nächste Schule, nicht, dass… Ok, da hab ich dann Abitur gemacht und ja … irgendwas muss ich jetzt überspringen.
Können Sie vielleicht noch sagen – wissen Sie warum sie nach Hannover gegangen sind?
Ja, weil mein Vater dort eine Arbeitsstelle bekommen hat. Er wollte ja eigentlich ins Ausland, aber meine Mutter wollte nicht und ich weiß nicht … er wollte nach Russland … aber gut, das war die Arbeitsstelle. Das ist oft der Grund.
Wie haben Sie ihren Vater damals wiedergefunden?
Wir hatten hier einen Cousin in Ustí nad Labem, Aussig und der hat … über den lief alles, ne. Gott sein Dank. Der war sozusagen die Kontaktstelle. Der wusste dann, ne, wie und was – wo wir waren, also es … irgendwann ging ja dann schon Post als nach einem halben Jahr oder ich weiß nicht wie lang das dauerte. Und dann konnte man wieder Briefe schreiben. Dem war ich später sehr dankbar, dass er das gemacht hat. Stimmt, wenn man überhaupt niemanden mehr hatte, dann war das schlecht. Er hats gewusst, wo wir sind.
Tja, und genau 50 Jahre später … kann ich nicht rechnen … 1995 bin ich hierher zurückgekommen.
Was haben sie vorher in Deutschland gemacht?
Ja also ich war in einem Orden und wurde dann aber vor drei Jahren entlassen, weil ich hier bleiben wollte, in meiner Heimat und das ging also nicht, nach den Weisungen, und dann wurde ich entlassen. Ja ich war Religionslehrerin und Gemeindereferentin.
Sind sie vom Orden hierher geschickt worden?
Nein, nein, überhaupt nicht. Nein, darum hab ich gebeten. Na es war nicht so geplant … aber es ist manches, was wie ein Unglück aussieht ein Glück und umgekehrt. Also ich wurde von meinem letzten Chef, tja, sagen wir mal, entlassen und dann hab ich gedacht, also jetzt brauch ich ja ein Sabbat-Jahr und wohin? Zu Kindern wollt ich nicht, weil das ist ja schwer, wenn man nach einem Jahr wieder weggeht. Und dann hab ich gedacht, warum nicht in die Heimat? Und dann bin ich also zum ersten Mal hierhergekommen. Dann hat sich allerdings ergeben, dass ich eine Stelle bekommen konnte in der deutschsprachigen katholischen Gemeinde, da war ich dann fünf Jahre in Prag.
Mit zum ersten Mal hierher meinen Sie, seit, seit …
Seit der Vertreibung, ja. Ich bin nie wieder hier gewesen. Wir hatten …
Haben Sie vorher daran gedacht?
Nein, ich wollte auch nie in die DDR, ich wollte nicht in dieses Gefängnis. Für mich war das ein großes kommunistisches Gefängnis und da will ich nicht hin. Und ich mein, die Verwandten, die wir hier waren, das waren ja nicht meine Bekannten. Das war ja eher von meinen Eltern, von meiner Mutter. Aber die … die wollten eigentlich auch nicht. Ich hab eine Tante, die Schwester meiner Mutter: „Wo ich einmal vertrieben worden bin, geh ich nicht wieder hin!“ Und dann hab ich gesagt: „Aber Tante, die das gemacht haben, entweder leben die nicht mehr, sind sie schon tot, oder sind uralt. Die jetzt leben, die habens doch gar nicht gemacht, die waren doch Kinder wie wir!“ Ja, das … das war zu viel. „Die haben uns das Unrecht angetan, ich will mit denen nichts zu tun haben“ Ich habs nicht erlebt, ich war zu klein und das war mein Glück. Ich konnte vollkommen unbefangen zurückkehren, ich hab mich einfach über alles gefreut … über die Spuren der Vergangenheit, hier dieses Haus und … Für mich wars relativ leicht, finde ich.
Was waren Ihre Beweggründe?
Oh! Ja, ich wollte dieses eine Jahre irgendwo sein, sinnvoll sein, aber nicht bei Kindern und in der Heimat. Und ich war dann ein Jahr im Kloster Osek, das ist bei Duchcov, bei Dux. Teplitz ist in der Nähe. Und da war ich als helfender Gast. Und dann hat sich so einiges ergeben, diese Stelle in Prag … und ich habe gedacht, ich möchte bleiben, ich möchte in meiner Heimat bleiben. Und wenn manche Leute sich wundern und so … dann wieso? Es ist meine Heimat. Hier sind überall Spuren der Vergangenheit, hier sind Gräber, jetzt hab ich meine Mutter auch noch hier auf dem Zentralfriedhof. Die letzten fünf Monate war sie dann bei mir. Ich hab wo anders gewohnt. Und das ist … bis auf die Sprache ist alles sehr schön. Also die Sprache, das ist schon … man hätte früher anfangen müssen.
Wann haben Sie angefangen Tschechisch zu lernen?
Mit 55. Das ist eindeutig zu spät. Aber meine Eltern, die konnten Tschechisch. Ich hab ja ihre Zeugnisse. Das schöne ist ja, ich hab jetzt die Zeugnisse meines Vaters eingesehen im Archiv da in Šumperk. Gut war er schon immer, aber das Tschechisch war … die hatten alle Tschechisch. Meine Mutter auch. Wahrscheinlich hatte die aber auch eine tschechische Großmutter, nur wurde … das ist nie thematisiert worden. Da hieß es nur, die Viktorka, also die Mutter der Mutter, ja Großmutter, die hat dem kleinen Kind, und das find ich wichtig, hat dem kleinen Kind mal erklärt, auf Tschechisch: „My jsme obě Moravanky, já jsem česká Moravanka a ty jsi německá Moravanka. A ted´ musíme mluvit čes .. eh .. německy, děděček přijde.“ Ich fand das so lieb. Ich weiß auch wo sie liegt und ich bedank‘ mich auch heute noch bei der Viktorka, dass sie das so … dem Kind so schön erklärt hat. Keine Gegensätzlichkeit aufgebaut, sondern „Wir sind Mährerinnen, du so und ich so.“ Ist das nicht schön? Aber sie muss Tschechin gewesen sein, klar. Und das wurde bei uns aber nie so thematisiert. Genauso wie wir eine Tante hatten, die Jüdin war, also getaufte Jüdin. Die Eltern haben konvertiert. Aber sie fiel ja unter die Nürnberger Gesetzte. Das heißt in Aussig, Ustí nad Laben, und mein Onkel wollte nicht, dass sie unter die Nürnberger Gesetze fällt und hat deswegen die deutsche Staatsangehörigkeit, damals 39 nicht haben wollen. Den haben sie zu Zwangsarbeit, die Nazis muss man sagen, zu Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt, seinen Sohn auch. Aber er konnte dann seine Frau, die Tante Anni ist irgendwie geschützt geblieben. Sie war zwar immer zuhause. Sie hatten eine Villa und irgendein Dienstmädchen hat das Geld geholt von der Bank. Sie selber hat sich wohl nirgendwo blicken lassen, was wohl sehr klug war. War auch ein kleines Kind da. Ja, das war die Tante Anni. Also ihr ist nichts passiert, sie ist nicht abgeholt worden. Und manche meinen, da muss jemand die Hand über sie gehalten haben. Sie war ja dann sozusagen, sie war ja durch die Eltern Jüdin. Und jetzt, ja … und dadurch hab ich hier tschechische Verwandte. Das verdanke ich Hitler. Nur die können wieder kaum Deutsch, naja ich kann ja Tschechisch.
Haben Ihre Eltern Tschechisch mit Ihnen gesprochen?
Nie. Nein, das war ne Geheimsprache. Das war die Geheimsprache zwischen den Eltern, damit wir Kinder es nicht verstehen. Und ich soll eines Tages gesagt haben, mit acht Jahren, „Mutter, ihr habt das und das gesagt.“ Die fiel aus allen Wolken. Aber ich glaub Kinder, die, die verstehen mit den Fingerspitzen, irgendwie muss was gewesen sein. Ich habs anscheinend verstanden. Nein, gelernt haben wirs nicht. Und ich kann verstehen, dass man die Sprache der Vertreiber nicht weitergibt. Das kann ich auch verstehen. Für mich wars schwierig, für mich wärs halt besser gewesen, ich hätte ein bisschen mehr gekonnt, außer so ein paar Schimpfwörter, tschechische Schimpfwörter.
Sie haben dann eben erst wieder angefangen Tschechisch zu lernen, als Sie hergekommen sind?
Ja, mit 55. Ich lerne immer noch, bis zum Tode. Ich hab so einen schönen Satz, den sag ich immer: „Učím se česky, hlemýždím tempem.“ Das finden alle immer toll, scheint auch kein Fehler drin zu sein, aber dann muss ich ruhig sein. Und manchmal wundere ich mich wie viel Tschechisch ich kann und manchmal wundere ich mich wie viel Tschechisch ich nicht kann. Also das, für mich das enttäuschendste Erlebnis war als der Papst hier war. Ich hab bei den Schwestern gewohnt in Prag und haben sie gesagt „čtvrt na …“ Na Moment, wie haben sie sich ausgedrückt? „Čtvrt na osum“ ist die Generalprobe für den Tanz der dem Papst vorgeführt werden soll. Und für mich war čtvrt na osum viertel auf acht und das heißt viertel nach sieben war das. Ich bin genau die halbe Stunde zu spät gekommen, also da wars bei mir fast aus. Das war hart. Naja, so lernt man.
Mittlerweile fühlen Sie sich schon sicherer im Tschechischen?
Naja, manche Zeitungsartikel versteh ich ganz und manche nicht. Naja.
Haben Sie das in einer Sprachschule gelernt?
Nein, eben nicht. Ich bin Autodidaktin, vollkommene Autodidaktin. Und dafür ist es gut. Ne ne, ich hatte keine Zeit und ich hatte kein Geld. Und dann … vor allen Dingen keine Zeit für die Sprachkurse. Und das ist so geblieben. Und jetzt, ich will auch diese Kurse nicht, denn die lehren nicht so wie ich es brauche. Ich brauche das so: „Mami, wie heißt das?“ Ne, so ungefähr. Aber das Problem ist, die Mami ist nicht da. Naja. Das ist mein Problem. Ich möchte so lernen wie ichs brauche. Die Mami ist nicht da, und damit muss ich leben. Gut, es war bis jetzt nicht weiter tragisch. Aber einmal hab ich auch was falsch übersetzt – da schreibt die Dame „ich kann nicht kommen“ und ich übersetze „ich kann kommen“. Ojeojeoje, das war hart. Ja, aber das ist … kann man nichts machen. Damit muss man leben. Ich stufe mich ein zwischen drei und vier. Mehr nicht. Ich würd nicht sagen … vier nicht, aber drei auch nicht, also dazwischen. Na ich brauch es ja in dem Sinn nicht.
Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?
Mein Vater hat gesagt: „Verrückt!“ Wie kann man nur, ne? Ich mein Vorbei, was vorbei ist, ist vorbei, das war die Ansicht meines Vaters.
Und die Mutter?
Ja, auch so ein bisschen. Sie war halt, am Schluss war sie bei mir, weil es keine andere Alternative gab - entweder Altersheim oder ich. Sag ich: „Mutter, willst ins Altersheim?“ „Nein!“ Na sag ich: „Gut, dann … dann bleib ich übrig.“ Dann hatte ich sie fünf Monate bei mir. Sie war dann auch mal im Krankenhaus für drei Wochen oder so. Am Schluss konnt die überhaupt kein … hat die nur noch Tschechisch gesprochen. Und das Personal ist ja tschechisch. So. Und dann hab ich mit ihr Tschechisch gesprochen, damit sie mich versteht. Und langsam hat sie sich dann wieder aufs Deutsche umgedreht. Ja, sie hatte schon Demenz. So, haben sie noch Fragen?
Ja. Ob Sie sich vielleicht noch an die Zeit während dem Krieg erinnern können?
Kaum, doch, eine Erinnerung hab ich beim Todesmarsch. Ich musste so ein Henkeltöpfchen halten und dann war ich wohl so müde – das Henkeltöpfchen ist mir entglitten und irgendjemand hat es mir nach vorne gereicht. Da weiß ich noch – „Gott sei Dank, jetzt hab ich dieses Henkeltöpfchen“ Das ist so meine Erinnerung. Ich glaube meine Mutter war aber sehr praktisch und sehr klug, ich nehme an, wenn was war, dann hat sie uns die Augen zugehalten oder weggedreht, ja. Damit wir Kinder das nicht sehen. Im Übrigen denk ich mir, Kinder haben einen Schutz – sie sehen und sehen nicht. Sonst würden sie verrückt. Jemand hat behauptet, ich hätt wer weiß was verdrängt, was … weiß ich gar nicht. Ich denke Kinder … es kommt Gott sei Dank nicht so an sie ran. Ja. Und sonst im Krieg? Ich weiß, als wir in Prag waren, da hieß es „Ruhig, ruhig!“ Aber es war wahrscheinlich nach dem Krieg schon. „Kein Deutsch sprechen!“ Das weiß ich noch. Und ich … jetzt bin ich schon seit 95 – wie viele Jahre sind das? 17 Jahre oder so – bin ich schon hier. Und jetzt langsam hab ich keine Probleme Deutsch zu sprechen. Also wie heute in der Straßenbahn, ne. Und ich hab aber 10 Jahre lang immer gedacht: „Nein, pscht, Ruhe, Ruhe, ärger die Leute nicht, die könnten sich aufregen. Kein Deutsch.“ Aber Gott sei Dank inzwischen bin ich also da drüber hinweg. Man hört also alle möglichen Sprachen. Warum soll man nicht Deutsch hören?
Und damals, also dann in Falkenau haben Sie mit Ihrer Familie auch nur Deutsch gesprochen?
Bestimmt, ja, ich, wir waren da nur ein Jahr. Ja, nein, in der Familie war immer Deutsch, klar.
Und Ihre Eltern haben dann in der Arbeit … oder wo haben Ihre Eltern Tschechisch gelernt?
Nein, in der Schule. Das war … entweder wars Pflichtfach oder es war freiwillig. Na es war in den Schulzeugnissen. In der Schule, ist ja auch sinnvoll, finde ich, die Staatssprache zu lernen. Also wie man das unterlassen kann ist mir immer ein Rätsel. Aber es muss solche Dörfer gegeben haben, die waren zu 99% Deutsch und diese … ja warum sollten die Tschechisch lernen, ne? Die brauchten das nicht. Und die nächste Kreisstadt, die war auch … die Ämter waren auch Deutsch und einkaufen konnte man da in deutschen Geschäften. Also ich denke mir, die … und die so global wie jetzt waren die nicht. Soviel rumgereist sind sie auch nicht. Es war tatsächlich so, dass mans wirklich nicht brauchte. Aber was ich gelesen hab, die Akademiker, die waren eh also die wollten, dass ihre Kinder die Sprache, die Staatssprache auf jeden Fall lernen. Und dann kam dieser Austausch in den Ferien. Vielleicht haben sie davon gehört? Na Wechslu – klingt so niedlich … also auf Wechsel. Also ein tschechisches Kind kam ins deutsche Gebiet und ein deutsches Kind – Kind, vielleicht warns auch Jugendliche.
Und während dem Krieg waren Sie in Prag?
Nein, nein, wir waren in Oberschlesien, teilweise. 39 waren wir da in diesem Falkenau, aber wir waren anscheinend noch ein Jahr in Berlin, aber da weiß ich gar nix davon, ein Jahr. Und dann waren wir also, drei Jahre nehm ich an, in diesem besetzten Oberschlesien. Das war ja eigentlich polnisch. Besetzt, annektiert, ne?
Und wenn Sie auch an den Todesmarsch wenig Erinnerungen haben, haben Ihnen dann Ihre Eltern davon erzählt, oder?
Nein, ich glaube, das … kaum. Mein Vater hat ja auch nichts erzählt von Theresienstadt. Ich weiß nicht, von wem ich das gehört hab. Ich glaube, diese Generation, die war so voll mit diesen Erlebnissen, dass die das nicht weitergegeben haben. Das hört man aber immer wieder. Erst die dritte Generation, die Enkel, die fragen: „Wie war denn das eigentlich, Opa?“ Und ja, stimmt, und hier gabs vor 10 oder Jahren oder so eine Handreichung für Deutschlehrer oder tschechische? Also in Tschechisch jedenfalls und des hieß „Opa, hast du auch auf die Deutschen geschossen?“ Also es ging um die … des Verhältnis zu den Deutsch … Handreichung glaub ich. Ich habs nie bekommen. Ich hab dann drum gebeten fürn Unterricht, sowas nehm ich an. „Opa, hast du auch …“ Und diese mittlere Generation, die, die … es sind erst die Enkeln. Aber es ist überall so, hab ich gehört. Auch bei Auswanderern in Amerika und so – die dritte Generation fängt erst an. Man sagt ja auch: „Die erste Generation den Tod, die zweite die Not, die Dritte das Brot.“ Is was dran. Die zweite Generation, die ist zu nahe dran. Nein, meine Eltern, hm … das hört man immer wieder. Naja, ich glaube, die hatten genug zu tun einfach das Überleben zu sichern. Da hat man dann nicht die … solche Sachen … man war froh, dass es vorbei war. Eigentlich schade. Eigentlich schade, dass diese … die Allerwenigsten irgendwas schriftlich hinterlassen haben. Denn sonst könnte man nachlesen wie das war.
Und dann waren das wahrscheinlich Verwandte oder das Umfeld … na ein bisschen wissen Sie ja doch von dem Todesmarsch und der Zeit damals.
Ja, man hat ja manches gelesen. Aber so persönlich. Wie gesagt, wir sind ja auch nicht zu Fuß gegangen, wir sind ja gefahren worden. Und waren aber hier, naja hier ist ein Konservatorium, ne hier ist es, da hinten, jetzt ist es Konservatorium und damals wars Lehrerinnen-Bildungsanstalt und angeblich haben wir dort übernachtet bevor wir also dann nach Pohrlitz hingefahren wurden. Und daneben war angeblich in diesem Karree eine Waffelfabrik, und das hat meine Mutter erzählt, und dieser Besitzer hat Waffelbruch runtergeworfen, wahrscheinlich für die Deutschen – den haben sie erschossen. Ich weiß nicht, war es ein Tscheche? Keine Ahnung. Ich weiß auch gar nicht … dort ist immer noch so eine Art Brotfabrik oder so. Also es kann sein, dass das dort so war, mehr weiß ich nicht. Ich glaub die haben sich viel untereinander unterhalten, die Eltern und die … mit ihren Eltern und was sollten sie uns Kindern da noch damit uns Kinder damit belasten? Wir waren ja klein, und …
Und als Sie in Deutschland waren, hatten Ihre Eltern noch Kontakt zu Bekannten und Verwandten?
Hatten sie, oder hatten sie nicht? Das frag ich mich jetzt auch. Doch, mit der Tante Anni hab ich sogar geschrieben. Bis sie eben gestorben ist. Also ja, eh, es wurde korrespondiert, das stimmt, ja. Teilweise auch in Tschechisch. Ich hab so tschechische Briefe gefunden. Ja. Das war möglich. Aber herfahren wollte glaub ich niemand. Kann man verstehen.
Und wann hat das bei Ihnen angefangen, dass Sie sich interessiert haben?
Naja, eigentlich erst 50 Jahre danach. Und zwar hängt das zusammen mit dieser, mit diesem einen Pfarrer, der, der mich nach vier Jahren … also dafür gesorgt hat, dass mir gekündigt wurde, sagen wir es mal so. Und dann hab ich eben gedacht: „Wohin?“ Und warum nicht in die Heimat? So fing dann alles an.
Und sie denken von Tschechien als Ihre Heimat?
Das ist meine Heimat. Da sind meine Vorfahren. Also ich geh zum Beispiel nicht in die, die, ist das die Thomaskirche? Ne, Jakobskirche. Da ist jetzt so ein, ne groß was Neues, eine Krypta mit lauter Totenschädeln und Knochen, ne Attraktion. Die größte Ansammlung nach Paris. Ich geh da nicht hin. Da ist mein Urgroßvater und da ist die … ich geh da … ich will mir das nicht anschaun. Ich weiß ja, die haben hier gelebt, also sind sie hier auch begraben worden. Also können sie auch dabei sein. Ja, siebte Reihe links, das ist mein Opa. Nein, das will ich nicht. Ne, hier sind überall Wurzeln. Hier fängts ja schon an mit diesem Haus – Jakob und Marianne grüßen mich jeden Tag. Ja, mich hats sozusagen erwischt. Geb ich zu. Die Liebe zur Heimat hat mich erwischt, ist mit zwar immer noch rätselhaft, aber es ist so. Und, ehm, Brünn ist mein Schicksal.
Kann man sagen, dass es auch ein bisschen Zufall war, dass sich diese Gelegenheit ergeben hat?
Ja, ich würd das religiös ausdrücken und sagen es war Fügung. Es war geführt. Von Gott geführt, so fühle ich mich. Zufall weniger, ich glaub das war schon höhere Absicht. Aber, nein, nein, es stimmt, ich habs mir nicht ausgesucht, ist richtig. Aber wie gesagt, durch diese Kündigung und und da, das war also n tiefer Einschnitt, wo ich gedacht: „Das gibt’s doch nicht!“ Aber dieser Mann hat mir ohne zu wollen die, praktisch, den Weg in den Osten geebnet. Sonst wär ich nie auf die Idee gekommen. Ich wusste damals schon, ich müsste ihm noch auf den Knien danken für seine, sein Verhalten, aber er weiß es bis heute nicht.
In welchem Jahr war das dann?
1995. 95 schon. Da war ich vier Jahre in der ehemaligen DDR in Thüringen tätig.
Können Sie sich vielleicht noch an die Anfänge in Deutschland erinnern?
1952 da gings ja schon etwas besser. Die schlimmsten Jahre waren ja nach dem Krieg, hat meine Mutter gesagt. Ich weiß nur noch in Österreich, da kriegten wir drei Schilling Taschengeld und jetzt warens drei Mark! Das war ja ein Vermögen für uns Kinder. Aber ich fand die Kinder in der Schule so frech und so laut und ich fand die Kinder in Österreich waren viel disziplinierter, das weiß ich noch. Ja das andere hat jetzt mit dem Land nichts zu tun – ich hatte ein Jahr Heimweh. Wir waren jetzt plötzlich in der Großstadt und kamen von einem, das war noch nicht mal ein Dorf, da bei Lambach, Wimsba-, Wimsbach, da in der Nähe, bei einem Schloss und im Jägerhaus. Also für uns Kinder warens die zwei schönsten Jahre unseres Lebens. Es war allerdings auch die Latenzzeit für uns Kinder, ne. So 8 bis 11 und das is viel grad zusammen. Aja gut, das war also und dann musste man sich sprachlich umstellen. Da konnte man keinen Topfen kaufen, das war jetzt Quark und die Paradeiser die waren Tomaten und noch irgendwas. Karfiol war der Blumenkohl. So ein bisschen sprachlich.
Ursprünglich haben Sie Paradeiser gelernt, in Tschechien also Sie Deutsch gesprochen haben, haben Sie dann auch Paradeiser …
Das weiß ich nicht. Wir haben ja fünf Jahre in Österreich gelebt. Wie die hier gesagt habe. Erdepple gibt’s ja auch. Ich denk schon, dass und … rajčata ist das übersetzt, aber da is ja na also an die Sprache kann ich mich überhaupt nicht erinnern so als Kind. Da hat man andere Sorgen.
Aber Sie mussten es dann in Deutschland umlernen?
Dies, ja, das fanden wir dann so lustig, das wir dann aufpassen mussten. Und es gab ja keine Selbstbedienungsläden. Man musste ja seine Wünsche äußern. Jetzt ist es doch einfacher. Da geht ma einfach in ´nen Selbstbedienungsladen wo man nicht reden will … muss. Und dann sucht man sich was raus. Früher musste man ja sprechen, wenn man was wollte. Na Sie habens nicht mehr kennengelernt. Das waren diese … da stand man hinter der Theke und „Was willst du?“ und dann musste mans sagen. Kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen, nicht? Also ich muss sagen, ich hab schon manchmal … fühlte ich mich richtig heimisch wenn ich in so einem Supermarkt war in Prag. Da gabs ja damals 95 gabs ja noch mehr diese kleinen Läden, aber die hab ich dann vermieden. Is ja logisch. Jetzt gibt’s ja die kleinen kaum mehr. Und selbst hier, diese kleinen Ketten, die sind ja auch schon mit Selbstbedienung. Also so dass man sich hinstellen muss, kaum. Man kann auch hinzeigen, ne. Aber …
Und sind Sie damals in der Gemeinschaft gut aufgenommen worden? In Deutschland in dem Ort in dem Sie waren?
Das war eine Großstadt, ach, Großstadt ist Großstadt und wir haben. Ach so, ich weiß warum sie fragen. Tja, ich habs nicht mitgekriegt. Das weiß ich nicht, ob das schon früher war. Meine Mutter hat, doch manchmal hat sie gesagt: „Wir sind doch nicht Beutedeutsche!“ Oder wir sind … ja … immer wieder hat sie gesagt: „Wir sind keine Flüchtlinge, wir sind Vertriebene!“ Darauf hat sie Wert gelegt. Und da hab ich gedacht: „Is ja wahr.“ Obwohl manchen Flüchtlingen tut man auch Unrecht. Die sind geflohen, weil sie, wenn sie nicht geflohen wären, würden sie vertrieben worden sein. Also die Grenze ist sehr fließend, finde ich. Aber wir sind tatsächlich vertrieben worden. Das hören manche nicht gerne. Dieses Wort – „Aussiedeln“ heißt das. Aber ich sag dann vertrieben, ja.
Meinen Sie hier in Tschechien?
Ja. Neulich hatte ich ein Erlebnis – das war aber einmalig, hab ich bis jetzt noch nie gehabt. Ich komm runter und da steht ein alter Mann vor der Tür, macht grade auf und ich will weg. Und offensichtlich wohnt der hier irgendwo. Und dann sagt der „Tzhsd.“ Ich habs nicht … „Ich verstehe nicht, was sie sagen.“ Also dann hab ich verstanden, er wolle wissen: „Kde jste vyrostla?“ Und ich hätt ja sagen können … dann sag ich: „V Německu.“ „In Deutschland. Nach dem Krieg sind wir vertrieben worden“, also auf Tschechisch dann. Der brüllte los: „Běžte!“ Und schlug die Tür hinter mir zu. Was war denn das hier? Und dann hab ich nur gedacht: „´N alter Kommunist.“ Aber ich möchte ihm nicht begegnen, also ich pass schon auf. Aber das ist ein Mal … also sowas hab ich noch nie erlebt. Und wir in Deutschland. Es gibt ja das Buch „Kalte Heimat“, ne. Da kann ich wieder nichts sagen, weil wir eben Kinder waren und Kinder kriegen das nicht so mit. Ne. Und außerdem, ich glaub das stört die auch nicht so. Kinder, die sind da, Gott sei Dank, so ´n bisschen dickfällig oder geschützt. Muss man sagen, Gott sei Dank, das weiß ich jetzt nicht. Na gut, es war wahrscheinlich nicht leicht. Und wir haben für uns gelebt, so abgeschlossen. Besuche hatten wir nicht, das weiß ich noch. Aber das … ich dachte immer das liegt an meinem Vater, der ist so ein bisschen seltsam gewesen. Und deswegen.
Und haben Sie sich dort auch zuhause gefühlt?
Naja, es hat ein Jahr gedauert, bis ich mein Heimweh nach der Natur überwunden hatte. Ja ich hatte dort eine sehr, eine geliebte Klassenlehrerin, das macht viel aus. Und jetzt erst hab ich gemerkt, die, die, die kam hier aus, ausm Sudetenland. Deswegen war wahrscheinlich da so eine emotionale Beziehung.
Wie sind sie da drauf gekommen?
Ja, ich habe jetzt im Archiv, in Ustí nad Labem, na es hat mich überhaupt interessiert. Und da hab ich dann auch bisschen mehr über sie erf-, was heißt über sie erfahren, die, ihre Kinder wussten nicht das Hochzeitsdatum, wissen sie nicht. Wann und wo die Eltern geheiratet haben. Also ich weiß es jetzt inzwischen. Aber, aus dem Archiv. Da sind die Karten, von den äh, Vertr- damals wurden sie ausgesiedelt, mit Datum, also mit Geburtsdatum, Hochzeitsdatum und, und Eltern, und ich weiß sogar wann die gelebt und gestorben haben, konnte man alles da nachlesen und dann konnte ich das so rekonstruieren, also sie mit vier Kindern, das kleinste zwei, wurde dann ausgesiedelt, und sie war gehbehindert, weil sie Kinderlähmung gehabt hat, jahrelang im Rollstuhl oder im Gips, der Mann im Krieg. Also da, ja.
Und in Deutschland, haben Sie sich dann als Deutsche gefühlt? Oder als Tschechin ?
Ah die Frage ist gut. Also, im Nachhinein ist mir klar geworden: Deutschland war für mich fremde Heimat und Tschechien ist für mich heimatliche Fremde. So hab ich das mal so, ja. Fremde Heimat, ich war also in Deutschland nie, muss ich sagen nie, ganz verwurzelt, es hat, es hat immer was gefehlt. Es war eine fremde Heimat, aber hier ist es eine heimatliche Fremde, klar von der Sprache her fremd, aber heimatlich. Oder soll mans umgekehrt sagen? Heimatliche.. nein in Deutschland war nicht heimatliche Fremde, kann man nicht sagen, wir haben ja Deutsch gesprochen. Nein also das war so.
Und hat sich an diesem Gefühl was geändert seit sie wieder hier wohnen?
Nö, das is ja, ja, das is gut, also für mich is es gut, hier und äh. Also ich hab eine ganz tiefe Verbundenheit mit diesem Land und kann nicht erklären warum. Und ich nenn das also Heimat oder Heimatgefühl oder sonst was. Einmal hab ich so komisch ein Lied gedichtet und das hat sich immer wiederholt, ich gehöre diesem Land und dieses Land gehört mir. Komisch, ne?
Ich gehöre diesem Land und dieses Land gehört mir, also das ist mein Lebensgefühl. Würde mich also sehr wundern, wenn mir das, ähm, streitig gemacht würde. Aber andererseits ähm, ich kanns ja belegen, durch meine Herkunft.
Also Sie hatten ja vorhin schon gesagt, dass Sie niemanden oder wenige Zurückgekehrte kennen?
Eigentlich niemanden. Eigentlich niemanden. Also die Deutschen, die ich kennengelernt habe, die waren alle, spaßeshalber habe ich gesagt Reichsdeutsche, also Bundesdeutsche, aber die, die hier ihre, ja doch die Frau Habel, in in Schluckenau, ich glaube die hat auch Sudetendeutsche Wurzeln, also Vorfahren. Kennen Sie die? Die war früher bei der ähm, ja war Heimatpflegerin im, in der Sudetendeutschen Landsmannschaft in München. Und ist jetzt zurückgekehrt vor paar Jahren, es gab aber neulich auch ein Interview in der Landeszeitung über sie. Und sie hat nämlich mit Romas zu tun. Da war in Schlucknov, Schluckenau, da waren diese Sachen, diese... mit den Romas. Und da ist sie. Sagen wir mal das ist die einzige, aber sie ist so weit weg. Noch jemand?
Und woher, woher kennen Sie sie?
Von den Sudetendeutschen Tagen. Die war, ich hab dann auch mal hingeschrieben weil ich Lieder brauchte, ich wollte gerne Lieder aus Mähren, und so kamen wir in Kontakt und einmal war sie, wahrscheinlich bei einer Tagung, ich hab sie angesprochen. So, also so. Ja, das war, sie war Heimatpflegerin.
Und sind sie da öfters zu so Tagungen gegangen von der Landsmannschaft?
Ich bin, wenn es geht einmal im Jahr bei den, bei der Schönhengster Bildungswoche, die ist in Bad Kissingen im Heiligenhof, das ist dieser Sudetendeutsche Bildungshof, Bildungshaus bei Bad Kissingen und wenn es geht fahr ich da hin und das finde ich immer sehr schön. Schönhengst ist halt da wo meine Eltern herstammen. Zwittau, früher Hohenstadt.
Das ist auch ein gutes Stichwort, können Sie noch ein bisschen was zu Ihren Eltern erzählen? Wo die geboren sind?
Beide sind sie in Hohenstadt geboren, das heißt aber jetzt Zábřeh. Ja, haben auch dort geheiratet, aber das war meine erste Mutter. Die ist dann gestorben, ich habe zwei Mütter und die andere ist von hier, von Brünn. Damit sie nicht durcheinander kommen, nicht, das also. Ja und mein Vater, ja also meine Vorfahren sind aber doch auch hier in Brünn gewesen, ich hatte, in Adressbüchern kann ich sehen, Eduard Breindl, Herrenschneider, und genau wo er gewohnt hat. Das ist der Opa Edi! Ja also in, die Adressbücher sind eine Fundgrube. Und ich finds überhaupt gut, dass man hier so problemlos in die Archive kommt. Also in Deutschland, dass ich weiß nicht wie teuer das gewesen wäre, und hier zu, das hätt ich gar nicht bezahlen können, aber hier, das war also. Ich finde das toll. Sogar jetzt sind die Archive von Mähren im Internet. Ich habe einen Großonkel gefunden! Aaaach, der Onkel Hubert! Da ist er ja! Kann man, ist schön! Den, das passt zwar jetzt nicht so ganz aber, den hab ich durchs Internet gefunden. Das heißt, ja. Ein, nach dieser Hubert, dieser Großonkel Hubert war verschwunden. Keine Ahnung, ja wir haben auch nicht gefragt, wir hätten ja die Tante Toni fragen können, was war? Ich weiß nicht warum wir Kinder nicht fragen! Ich, ich also, wie war das damals, Tante? Und wir haben die auch nicht zum Reden gebracht. Ja, man lebt als Kind, Jugendlicher, junger Mensch so in der Gegenwart, und ach was das, wenn die nicht von selber erzählen, dann fragt man nicht, und, und die wollen manchmal nicht erzählen, weil sie sagen, das interessiert die ja gar nicht. Ich habe einer alten Dame mal gesagt, schreib doch, Eva schreib doch auf! - Ja es interessiert niemanden. Ich sage, du die Enkel werden sich freuen. Ich hab ihr sogar das, so ein dickes Heft gegeben und nen Stift, sie soll schreiben. Ich glaube die hat bis heute nicht geschrieben. Das geht alles verloren! Und, und dreißig Jahre später ist das Interesse, aber nicht wenn man jung ist. Und wir wussten also auch, dass unsere Tante, die eine Tante einen unehelichen Sohn hatte, und, und wir haben, wir wollten sie auch nicht kränken, na. Das ist auch ein Grund, dass wir nicht gefragt haben, was ist denn mit deinem Sohn geworden, oder wie und was, na. Das is alles, alles is weg, wenn man nicht fragt. Aber so viel fragen Kinder nicht.
Mein Onkel Erich, der hat also eine Art Chronik geschrieben, und wenn diese Chronik nicht gewesen wäre, ich hätt so vieles nicht gewusst. Seine eigenen Söhne wussten nicht wo er geboren ist, ich hab das rausgekriegt bei Blansko. Aber ich, da entwickelt man schon kriminalistische Fähigkeiten! In einem Haus am Rande der Hütte, Stahlhütte oder sowas, na. Ja, ich komme da hin, ja wo ist denn das Haus, überall nur... Bis ich gemerkt hab, ja das ist jetzt in der Mitte, jetzt ist es in der Mitte! Diese ganze Hütte hat sich vergrößert! Aber an sowas muss man ja auch, ne. Gestern habe ich auch ein Haus gesucht, ja, statt dass ich, von vorne herein die Nummer bezweifle, na, suche da hinten Nummer 29, am Schluss wars Nummer 2. Die vierte Person konnte mir Auskunft geben, na. Also man...
Oder jetzt, meine Großmutter Emmi, ja wo ist die denn geboren, gut, dass ich das wusste, dass das jetzige Haus 1, in der, wie heißt denn diese Gasse, da beim Spaliček, bei diesem Riesenkaufhaus, das ist jetzt Nummer 1, aber das war 3, also war 1, wo sie geboren ist, vorher! Naja, gut. Jetzt ist es Tiefgarage. Aber da, das ist natürlich schöne Sache so in die Vergangenheit zu tauchen und dann wie, was, und dann muss man auch kombinieren, na. Warum, warum hat meine geliebte Lehrerin, warum hat die dort geheiratet, ich dachte immer sie hat in Wien geheiratet. Dann habe ich gedacht, ahaaa, ja, die Mutter hat dort gelebt, oder die Eltern haben dort gelebt, so. Also man hat ja dann nicht die Erklärung daneben, aber die, ja is, klar. Ich wusste dann, die, ihre Mutter ist dort gestorben, aha, also haben sie vorher dort gelebt, also haben sie deshalb dort geheiratet. So läuft das dann, ne. Aber es macht Spaß, das rauszukriegen. Ich weiß noch, einmal im Archiv, dann hat sich rausgestellt wo der, der Sohn dieser Tante, den habe ich immer in Wien gesucht, und ich weiß nicht wo, und dann stand der da, und ich weiß noch - da ist er, so! (lacht) So stand ich da! Ich hab mich so gefreut, ich hab den Sohn gefunden!
Und wo haben Sie ihn dann gefunden?
Also im, ja im Buch, in den Matrikeln, in den Geburtsur-, bei den Geburtsbüchern.
In Brünn ist er geboren?
Nein, nein, der ist dann in Hohenstadt geboren. Aber das war auch nur so, es hieß immer, sie war 18, ist ja gar nicht wahr, sie war schon 22, aber, dann seh ich zufällig, ja, und in diesem Ort waren im Jahre, also zur Zeit des Weltkrieges, war eine Kompanie oder was aus, was weiß ich, Galizien oder so, und da hab ich gedacht, aaaaaaah, naja, da hat sie, einem Soldaten wohl zu viel vertraut, dann kam das Kind. Aber ich habe ihn gefunden, ich habe ihn gefunden. Das sind, das sind Erlebnisse, naja, das führt weg.
Haben Sie Kontakt aufgenommen?
Mit, mhm, ne ich hab ja keine Ahnung. Nein, es hieß er ist umgekommen im Kampf gegen die Deutschen, was immer das heißt. Der war dann in Polen bei seinem Vater, und mehr weiß man nicht, wir haben nicht gefragt! Wir wollten sie halt so auch nicht kränken, ja. Und von selbst hat sie nichts erzählt. Und so geht Wissen verloren. Und deswegen ist es gut, wenn gefragt wird. Oma, wie war das? Opa, wie war das?
Ja, haben Sie noch Fragen?
Ja, nach Ihren Geschwistern?
Ach ja, wir sind also vier Kinder gewesen, und wir waren also, alle drei sind wir in Deutschland aufgewachsen, und mein jüngerer Bruder ist letztes Jahr gestorben, und mein Zwilling wohnt im Schwarzwald, und meine Schwester in München. Beide verheiratet, die sind da verwurzelt, da denkt kein Mensch daran, zurückzukehren. Nein. Also das sind wirklich nur Leute, die Singles sind. Mit Familie, und mein Bruder hat sogar gesagt, naja, man könnte ja wenn man in Rente ist, dann sagt er, naja aber die sprechen ja alle Tschechisch. Hat er Recht. Es ist nicht mehr das, was es war, warum soll man zurückkommen.
Und haben die Sie besucht?
Ja! Das haben sie schon so, das Grab der Mutter, na. Ja, doch, doch, doch.
Und was haben die Geschwister dazu gesagt, dass Sie jetzt wieder Tschechisch lernen? Also dass Sie angefangen haben, Tschechisch zu lernen in Tschechien?
Och, meine Schwester lernt Spanisch, also was, warum soll ich nicht Tschechisch lernen? (lacht) Ja. Na also das schönste war ja als wir in Hannover waren, so nach und nach ist die gesamte Familie in den Süden gezogen nach dem Motto: Man kann nur südlich des Main leben. Und ich war dann die letzte, tatsächlich, bin jetzt auch südlich des Main. Alle, nichts ist in Hannover in Norddeutschland. Es ist eigenartig, na. Aber da waren auch wenig, äh wenig Vertriebene, die sind ja meistens nach Bayern, die allermeisten nach Bayern und in die französisch besetzte Zone, die haben überhaupt niemanden genommen, soviel ich weiß, die haben sich geweigert, und dann blieben noch die Engländer, na. Amerikanische Zone, englische und ah, aber die allermeisten in Bayern. Und wir hatten da, naja, wir haben auch nicht, sagen wir mal, viel Kontakt gesucht. Es lag an meinem Vater. Na der wollte das einfach nicht. Der hatte kein Gef-, Bedürfnis danach. Und diese Sudetendeutschen Tage, die habe ich überhaupt erst in, seit meiner Rente entdeckt. Denn die sind immer Pfingsten, es ist ein blöder Tag, einerseits schön, andererseits nicht, und ich war in der Gemeinde tätig, ja da, Sonntag und Festtage gehört man in die Gemeinde. Also ich stand auf dem Standpunkt, die jungen Leute heutzutage, die haben andere Ansichten, und dadurch war also der, war Pfingsten immer belegt. Aber nachdem ich also dann aus Prag weggegangen bin, mein Vertrag wurde also nicht mehr, nach fünf Jahren nicht mehr erneuert, und äh, da sind immer nur Dreijahresverträge, und jetzt ist die Gemeinde überhaupt aufgegeben, finanziell, also es ist, äh, es heißt, es, hieß von Deutschland aus, wir haben nicht mehr das Geld für jede Gemeinde, kann man auch verstehen, Prag ist klein, und so weiter, also Prag wird der Geldhahn wird zugedreht, wurde auch, also das heißt keine Stellen mehr da. Und, die Gemeinde wollte aber quasi am Leben bleiben, hats irgendwie geschafft, die Kirche und sonntags das weiterzuführen, Räume hatte sie dann auch nicht mehr. Ja aber inzwischen hat sichs gebessert, und so dass die Prager Diözese Räume äh da zur Verfügung gestellt hat, in der Nähe der Kirche, und jetzt demnächst kommt ein österreichischer Pater dort hin! Österreichisch. Ein Redemptorist, der schon in Prag ist. Falls er sie interessiert, also ich weiß jetzt weiter nichts. Aber diese Gemeinde ist in äh, in Svatého Jana Skalce, da ist immer heilige Messe um 11, um 11 oder um 10. Um 11 glaub ich. Und wenn Sie ihn dann treffen wollen, ich denke er hat schon angefangen. Österreichisch, hmm. Ja und der wird aber jetzt irgendwie von Österreich glaub ich finanziert, oder. Naja, er ist nicht Rentner. Zwischendurch gabs zwei Leute, die waren Rentner, ist ja kein Problem, ja, aber jetzt wenn man, von irgendwas muss man ja leben und ich glaube das ist jetzt, läuft jetzt über die österreichische Schiene.
So, weitere Fragen?
Dann waren Sie in Hannover im Kloster?
Nein, nein, da war ich an der, da ist eine Schule der Schwestern. Und das Mutterhaus ist im Eichsfeld. Aber das is unwichtig. Das war nur eine Filiale. Und da waren auch nur drei oder vier Schwestern, und wir haben ja, die sind ja uralt, das ist ja ur-, jetzt, die waren 50! Aber uns Kindern kam, uns Schülerinnen - das uralt! Wenn die jetzt erst wüssten... die mei- eigentlich sind alle nur noch 80. Das ist ganz traurig geworden. Aber uns kam das furchtbar alt vor. Wir haben den Film gesehen „Eine Nonne“, „Geschichte einer Nonne“ - die ist ja so jung, gibts denn sowas! Unsere sind so alt, aber 50 - alles relativ. So! Und?
Während dem Kommunismus ist das ja ziemlich in der Presse propagiert worden, also gegen die Deutschen, hier in Tschechien.
Wahrscheinlich ja.
Haben Sie das mitbekommen?
Nein. Wie denn, nö. Naja, das ist ja immer noch bei manchen so. In der... Fängt ja von- bei Vaclav Klaus an. Die Vertreibung war logisch, und, und das wird dann alles so, so hingestellt als ob das äh, eine gute Sache gewesen wäre. Ich freu mich über jedes, jeden Artikel wo dann etwas, wo man das Gefühl hat, äh, dieses Unrechtsbewusstsein kommt so ein bisschen vor, hervor, aber bei ganz jungen Leuten. Bei den Ver- Verursachern sowieso nicht, die nächste Generation kann man auch fast vergessen, und erst die jungen Leute sind also so unbefangen, dass äh, ich hab ich hab mich gewundert, äh, neulich im Artikel, neulich, es ging um diese, dieses Massengrab auf einer Wiese, oder so, Dobra-, Dobranic oder so ähnlich, da stand wirklich, hab ichs mir aufgehoben oder nicht, „die Polizei ermittelt wegen Nachkriegsverbrechen“ - schon alleine dieses Wort! Das war ja kein Nachkriegsverbrechen! Bis acht- bis zum 28. Oktober war das ja alles okay! Und jetzt zum ersten Mal! Also da kriegt man, denk ich, was, das ist ja ein ganz neues Bewusstsein! Die Amnestiefreiheit, diese Am-, die, die wird ja eigentlich ausgehebelt - na Gott sei Dank, muss man sagen. Aber es ist ganz neu. Aber es sind die jungen Leute, so Antikomplex oder, dann diese Sache mit Alois Nebel, mit diesem Film…
Welchen Bezug haben Sie jetzt zu Deutschland?
Ja, Bezug. Ich bin dort, ich bin dort gemeldet, darauf lege ich noch wert. Das ist hier mein zweiter Wohnsitz, und bin auch jeden Monat einmal dort, schon allein um mein Geld abzuheben, weil ich das hier nicht aus, ich könnte ja hier auch bei der Bank äh, abheben, aber, ich will das nicht, das ist ja dann auch, die die ziehen sich ihre Gebühren ein. Und das sehe ich nicht ganz ein, obwohl man nicht weiß, was, was hinter diesen Wechselstuben hier so ist. Das gebe ich gerne zu, ich weiß nicht, finanziere ich damit irgendwelche Terroristen? Die sind zwar angemeldet, es läuft ja auch okay, aber was dann passiert? Das weiß ich nicht, gut. Das ist mein Bezug und wenn ich in Deutschland bin, ist okay, da wunder ich mich plötzlich, hah, sprechen ja alle Deutsch! (lacht) Ach so, ich bin ja in Deu-! (lacht) Aber sonst, ist nicht so, dass ich zurück möchte.
Und ähm, würden Sie sich jetzt als Deutsche oder als Tschechin bezeichnen, wenn man Sie fragen würde?
Tschechin nicht, deutsche Mährerin. Ich b-, ich bin eine Totalmährerin. Also ich äh, ich würde nie sagen tschechisch, und äh, ich sag immer, „já jsem německá Moravanka“. Da bin ich also schon lokalpatriotisch eingefärbt. Und den Pass würde ich auch, also diese - Personalausweis, also wenn man beide haben könnte, okay, aber, den deutschen abgeben um hier den tschechischen zu bekommen, also soweit geht meine Liebe - noch nicht.
Kontakt zu anderen mährischen Deutschen haben Sie? Hier?
Ja ich, ich kenn kaum, ja ich bin in, in diesem Klub der Deutschen, wie heißen die denn, Begegnungszentrum, hier gibt es eins, und es gibt auch noch einen anderen Verein, auch deutsch, und ähm. Also meine Schwester die hat mich getröstet, und hat gesagt, du das scheint, die Deutschen scheinen sich überall so zu verhalten. Irgendwo in Öster-, in, in USA irgendwo, da gabs auch zwei deutsche Klubs. Also statt dass es nur einen gibt, es gibt zwei.
Sie gehen zu beiden?
Ja, gehe, bei dem einen bin ich Mitglied, schon immer gewesen und bei dem zu dem anderen gehe ich alle vierzehn Tage zum Singen. Denn die haben also eine, also, einen Singklub, oder so, und sie treten manchmal auf. Bei den Min-, Konzert der Minderheiten. Und als ich die zum ersten Mal erlebt hab, vor einigen Jahren, vor etlichen Jahren, da fand ich das so traurig, ich hab gedacht, nur noch alte Leute! Und dann wollte ich die ein bisschen aufpeppen so vom Weiten. Also ganz, die sind halt 10 Jahre älter. Und dann kommen sie jetzt schon mit Stock auf die Bühne, und, dann hab ich gedacht, das ist von den Deutschen übrig geblieben? Aber ich find gut, dass sie das machen, und ich wollte halt helfen, so wie ich das kann. Und ah, neulich vor zwei Jahren war zum ersten Mal seit dem Krieg oder so Weihnachtssingen, in deu- deutsche Lieder. Ich hab immer wieder gesagt, können wir nicht auch auftreten! Ja, wir sind zu alt, sag ich, das sind ja lauter alte Muttchen manchmal, so Babičky, und süß, so alte... Warum nicht!? Jung und alt! Und Gott sei Dank, vor zwei Jahren haben sie sich zum ersten Mal getraut und letztes Jahr sogar zweimal, aufm, da und da, und jedes Mal hat inzwischen schon ein Junge, ein junger Tscheche mitgemacht. Ich hab dann gefragt, kannst du nicht mitsingen? Die können ja Deutsch, na. Der eine ist mein Verwandter, und ah, und dann die andere, die kann so perfekt Deutsch, also ich, ich... Neulich hat sie mir so eine kleine Zeile hinterlassen, „Gieß meine Blumen“, und dann hab ich gesagt, also Martina, ich, ich hab keinen einzigen Fehler gefunden! Ich hab gesucht, ich hab gesucht! (lacht) Ist das nicht toll! Wie gut die Deutsch kann! Die hat dann auch uns unterstützt, wenigstens ein junger Mensch, aber ansonsten ist es halt. Ich finde man muss halt mit Sympathisanten arbeiten.
Des ist im Ausland woanders auch. Da gibts halt auch manche überalterte deutsche Klubs. Und wenn die sich dann... es reicht ja wenn die einmal üben, dann können sie es ja. Ja, da bin ich also dann alle vierzehn Tage.
Und was gibts für Veranstaltungen im Begegnungszentrum?
Oh, jede Menge! Und manche sind sogar hochkarätig! Irgendwelche Professoren kommen an und, alles Mögliche, also wirklich, das muss man sagen, das is, ähm, hohe Qualität, aus Wien war mal eine Dame da, die st-, die ist Professorin, irgendwo in, ich habs wieder vergessen. Nur die Räume, die sind meiner Ansicht nach un-, unzureichend. Es ist so eine, im Grunde ne Wohnung, da ist ein Raum, das ist Büro, der nächste Raum, der ist ein bisschen größer, da ist Versammlungsraum, und hinten so eine kleine Küche, da war wahrscheinlich früher Badezimmer, und das Klo halt, und der Flur. Also für größere Veranstaltungen ist das... also ich weiß nicht aber ich nicht die, ich bin nicht verantwortlich. Während in Mährisch-Trübau, Moravská Třebova, da haben die das viel besser gelöst, die sind nämlich in‘ Museum, des is n Riesenbau, und wenn sie große Veranstaltungen haben, können sie unten im Atrium oder so, können sie ihre äh, Ver-, weiss ich, Konzerte oder sowas haben. Das finde ich wirklich ideal, aber so, tja, es ist dann oft so klein, alles. Doch aber da muss ich sagen, das sind wirklich, die Vorsitzende, die, die legt sich ins Zeug, is allerdings in Deutschland, is aber immer wieder hier, und da muss ich sagen, das ist eigentlich schade, dass das nicht noch mehr, ähm, von mehr Leuten be-, besucht wird. Es werden auch Fahrten veranstaltet, und irgendwelche Besichtigungen gemacht. Einmal war sogar ein Tag, da im, im, oder zwei Tage, im deutschen Theater hier, da konnten wa dann auch rein und so, also, also in den Ferien ist jetzt nichts. Und alle vierz-, alle- jed- einmal im Monat haben wir auch einen Gottesdienst in deutscher Sprache, den hat die letzte Vorsitzende eingeführt, die Frau Dora Müller, sicher bekannt, Antifaschistin, deswegen ist sie auch hiergeblieben. Ja, aber eben nur einmal im Monat, und an einem Mittwoch. Sonst... Die englischen die haben hier jeden, jeden Sonntag ihre heilige Messe. Aber da sind ja manchmal acht, neun, zehn, elf Nationen, Englisch ist halt Englisch. Aber ich geh dahin weil das ist, es ist persönlicher. Da hab ich dann an dem, der Sonntag ist für mich dann manchmal dreisprachig. Englisch in der Messe, Deutsch weiß ich nicht, je nach dem und, und Tschechisch.
Also Englisch ist für Sie auch kein Problem?
Ja fast nicht, fast nicht. Ich mag Englisch, und das einfach, wenn man eine Sprache mag, dann - und trotzdem ist Tschechisch die erste Fremdsprache, komisch.
Also Tschechisch ist ihre erste Fremdsprache?
Ja, das geht, also Deutsch, Tschechisch, Englisch. Merkwürdig, na? Naja, man lebt ja hier.
Haben Sie alle Fragen schon abgehakt?
Eine wichtige Frage hätten wir noch. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der deutschen Minderheit?
Och, das ist aber eine schöne Sprache - äh, Frage, ja. Na, dass sie nicht ausstirbt. Und ich wünsche mir für die Minderheit, äh, so liebenswürdige Sympathisanten, zwei kenn ich, vielleicht sinds sogar mehr, komischerweise sinds zwei Männer, die also bedauern, dass man die Deutschen verjagt hat, hinausgejagt, das heißt ja des tschechische vyhnání, dass man sie vertrieben hat und dass, die dann also auch der Meinung sind, man hat sich ins eigene Fleisch geschnitten - hat man auch, hat man auch. Und manche wollens nicht wahrhaben. Also ich war mal beim Sudetendeutschen Tag, der Volkstumsabend, und äh, mit diesen Darbietungen, Wischauer Sprachinsel, und was weiß ich, da war ich plötzlich tschechisch, sozusagen, ich hatte tschechische Augen, und ich hab nur gedacht: und sowas schönes haben wir hinausgejagt! Also ich identifiziere mich dann auch mit der Bevölkerung, ich kanns, kanns verstehen aber wie ich schon gesagt hab, der Hass ist ein schlechter Ratgeber und man hat sich ins eigene Fleisch geschnitten, aber das... ja und dieser eine Architekt, den ich kenne, der hat dann auch gesagt, da gabs hier so eine Serie in der Zeitung, ähm, Vision für das Jahr 2018 oder so, und da hat er einen Artikel geschrieben, ja er ungefähr, er wünscht, er sieht die Deutschen sind wieder zurückgekommen, und so, es hat mich so angerührt! Und da stand nur drunter der Name und Architekt. Und ich hab den Artikel zehn Monate nach Erscheinen gelesen. Bei mir häufen sich manchmal die Zeitungen, ehe ich sie dann durch hatte.
Ah, ich hab gesagt, das is ja so was Liebes! Und, ja was jetzt, keine Adresse, aber im, im Telefonbuch aaah, da ist es ja! Und äh, na inzwischen ist er umgezogen, aber er hat geantwortet. Und, sowas wünsche ich mir, so, solche, oder wie dieser Mann vom, den ich neulich kennengelernt hab, der also... Oder diese eine Dame neulich, im Klub. Die hat dann erzählt, eine Tschechin, warum sie in den Klub kommt oder überhaupt Deutsch lernt, äh, der Vater war Deutscher, aber die sind total tschechisch aufgewachsen, und sie ist erst jetzt in Rente, kommt sie auf die Idee Deutsch zu lernen, das baut eine Beziehung zu ihrem Vater auf, eine emotionale, zu dem schon verstorbenen Vater, find ich wirklich schön, ich kann das sofort nachvollziehen. Und sie möchte auch das Unrecht, das damals geschehen ist, dadurch gut machen. Und solche Menschen wünsche ich mir. Ja drei hab ich ja schon! Vielleicht sinds ja noch mehr.
Naja, vielleicht, das sagen ja die immer wieder, dass das eben zugegeben wird, es war ein Unrecht, und nicht, dass man sagt, es war alles in Ordnung! Und wir konnten nicht anders und es war logisch, logisch, na. Wieder ein neuer Ausdruck. Das Logische muss nicht gut sein. Es stimmt dann, einfach Versöhnung.
Aber vielleicht kann man das erst nach Jahrzehnten als Volk sagen. Ich hab jetzt festgestellt, bei dieser Fakultät, da bei der roten Kirche, ist ja jetzt also, es war die Medizinische Fakultät, aber zur Zeit meines Vaters wars die Technik, die deutsche Technik. Und oben jetzt gehts um oben, zwei Riesengreife und sie hielten ein Schild, und darauf war - nichts. Es ist verschiedentlich dass man sieht, aha, denk ich, da ist was weggehauen worden. Nichts, da sind zwei Greife und die halten - was soll denn das? Nach 80 Jahren hat man erst sozusagen die Kraft gefunden, das alte ähm, Wappen von der Monarchie da wiederherzustellen. 80 Jahre. Ja jetzt scheints kein Problem zu sein. Jetzt ist also der doppelköpf- köpfige Adler und und dieses Rot-Weiss Rot-Weiss oder so ähnlich, aber ich hab nur gedacht, 80 Jahre. Es ist, es ist schwer. Zwischen Völkern! Wie schwer ist das zwischen einzelnen Menschen und jetzt Völker! Die haben ja, die habens ja glaub ich noch schwerer. Die haben das gemacht, die haben das... und die Schlacht am Weißen Berg, da fängt ja alles an, wenn nicht schon früher. Ich hab jetzt extra ein Buch gekauft, im Antiquariat, 30 Kronen, ein Vermögen! Aber in Deutsch! Über die Winterkönigin. Also die Frau dieses Winterkönigs Friedrichs des 5. glaub ich, der hier einen Winter lang, vor der Schlacht am Weißen Berg König von Böhmen war. Naja, gut.
Aber ich glaub, das fing schon früher an. Ich glaube Hus, mit Hus fing das schon an. Is ja auch, is ja auch furchtbar, man verspricht ihm freies Geleit und dann wird er doch gefangen genommen. Und dann diese Hussitenkriege und des war, ja es ist so viel Unrecht, na. Und wenn man das nicht auf beiden Seiten nicht zugeben will, dann verheilt die Wunde auch nicht. Dann bleibt der Eiter drin, und muss nicht unbedingt wehtun, aber wenn man drauf drückt, dann ja. Hmm, es ist ein menschliches Thema.
Ja und unter den Tschechen gibt es ja teilweise Befürchtungen, dass ähm, die Deutschen Besitzansprüche stellen, wenn sie wieder zurückkommen. Können Sie das nachvollziehen?
Ähm, in meiner Familie, ich hab meiner Mutter mal gesagt, gut dass wir kein Haus hatten, das wir verloren haben, und dann sacht sie, aber das Geld hatten wir! Stimmt! Sie hatte von ihrem ersten Mann eine Lebensversicherung und wahrscheinlich war das so viel, dass man darum ein Haus hätte kaufen können, und die Sparbücher wurden einem ja weggenommen, das war ja dann tschechischer Besitz. Sie hat Recht, wir hätten eins haben können. Wir haben also defakto wirklich keins, nur von meinem Großvater in Zábřeh, das wurde jetzt erst vor einigen Jahren vor Eintritt in die EU privatisiert. Also bis dahin war es Stadtbesitz, städtischer Besitz, und wahrscheinlich war das eine Vorschrift, sowas darf nicht übernommen werden in die EU, also die wurden ja dann die vertei-, priv- also Eigentumswohnungen, für die, die da waren, und alle habens auch gekauft, okay, ja, das wäre vielleicht was. Aber ansonsten, Tugendhat, die Villa Tugendhat, die haben sie ja auch nicht zurückgegeben. Vielleicht liegts so ein bisschen anders, die sind ja schon 1938 geflohen, bevor die Nazis kamen, na die wussten schon, was auf sie zukommt.
Es waren Juden?
Juden, ja. Die haben acht Jahre in ihrer schönen, Villa gewohnt, aber die Nachkommen wolltens zurück, und das ging da monatelang in der Stadt oder hin- und her, sie kriegten, und wolltens auch renovieren! Nein, sie kriegtens also nicht zurück. Tja. Man will wohl auch keine Präzedenzfälle schaffen, wenn mans denen zurück gibt, muss mans denen... äh, es gibt bei den Sudetendeutschen Tagen so eine, so einen Vereinigung äh ich vielleicht sind da gar nicht viele da, einen kenn ich, das sind Bauern, die ihren Besitz zurück haben wollen! Immer wie- immer noch, na. Und ich glaub die Bauern, das war, das muss das Schwerste gewesen sein, dass dieses Land, das sie bebaut haben, jaja, aber, wo fängt man an und wo hört man auf. Das ist das Problem. Und wer wills denn wirklich zurück haben, will jemand wirklich hier wieder wohnen? Na die Lobkovitz, Familie Lobkovitz, die sind glaub ich zurückgekehrt. Aber ich glaube die waren auch irgendwie tschechisch. Kinsky auch. Aber, die Sache mit den Ansprüchen, das ist... Oder, äh, immer wieder hört man was von Nachfahren, die dann ein Schloss zurück haben wollen, des is sowieso eine Ruine, aber man gibt es ihnen trotzdem nicht. Ja, warum, weil mans dann andern auch geben müsste.
Wie war die Frage eigentlich?
Ach, die ist schon beantwortet. Nein, nur ob Sie was zu den Ängsten der Tschechen sagen können.
Ach so. Okay. Ja, was soll ich sagen. Man kanns nicht lösen. Ich würd sagen dass, man kann den Leuten, die das Haus gekauft haben, renoviert haben, dort wohnen, die kann man nicht an die Luft setzen, man kann sie auch nicht dafür bezahlen, dass sie weggehen, es geht einfach nicht, finde ich. Da ist, da ist, man kann nicht dieses alte Unrecht durch ein neues ähm, wettmachen wollen. Es geht einfach nicht, es ist so, man kann eigentlich nur verzichten und verzeihen und vergeben, auf beiden Seiten.
Mein Haus, ja, man kann eh nix mitnehmen. Das - nichts kann man mitnehmen. Wenn man stirbt, mein ich. (lacht) Und dann überhaupt diese Sache, dass man denkt, man könnte durch ethnische Säuberung ein Land zum Frieden bringen. (lacht) Irre Idee, ich hab - das ist der Nationalismus - na früher hat man gemeint, wenn alle die gleiche Religion haben, dann ist endlich Frieden, dann musste man die anderen bekämpfen, na, furchtbare Sachen. Und, und dieser Nationalismus war ja auch nicht viel besser, aber es geht einfach nicht, ich hab geslesen, es gibt nur ein einziges Land ohne ethnische Minderheiten, ich hab vergessen, welches, vielleicht ist das irgendeine Insel im Atlantik, ich weiss es nicht. Also kein normales Land. Es geht nicht! Und man muss zusehen, dass man irgendwie klar kommt. Und früher, das ist doch eine Illusion, früher, ich weiss noch, davon hab ich gehört, die Dörfer haben sich bekriegt, die dieselbe Sprache gesprochen haben, die haben sich, die jungen Männer, oder was, die... . ja ich hab gesagt, was ist denn da los! Anscheinend muss man sich immer irgendwie bekriegen.
Und, und dann hat man den Grund, und hat den Grund, und den Nationalismus, und, und die Religion, und, und was weiß ich, den Rassismus, und... also ich wünschte mir, wir Frauen würden da mehr dagegen unternehmen, gegen solche Ideologien. Wo habe ich dass denn jetzt gelesen, dass da in Sudan oder irgendwo in Afrika angeblich, haben die Frauen, schade, dass ich mir das - jetzt erst, vor ein paar Jahren, die haben gesagt, Kein Sex, solange Krieg ist! Der Krieg war bald beendet. Das finde ich toll! Ich finde das gut! Ja, richtig Druck machen so! Jetzt hört endlich auf!
Scheint funktioniert zu haben. Oder einmal war das bei dem Raub der Sabinerinnen so ähnlich, zwei Heere standen sich gegeneinander und die geraubten Frauen haben sich dazwischen, äh, gestellt, wir wollen nicht, wir wollen keinen Krieg, wir wollen nicht, dass die umgebracht werden und wir wollen auch nicht, dass die umge-, das sind jetzt unsere Männer, das ist unsere Familie, einigt euch.
Ich finde das ist die Aufgabe der Frauen. Das mit dem Sex find ich noch am besten. Das spürt man!
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Witness story in project Sudetenland destinies (Corinna Malecha)