Also meine Mutter ist dann mit uns drei kleinen Kindern, ich hab nen Zwillingsbruder und meine Schwester, 2 Jahre jünger. Sie ist nach Brünn gegangen, hierher nach Brno, weil dort ihre Mutter war, ihre Eltern. Ja und da haben wir dann den sogenannten Todesmarsch erlebt. Das heißt ich weiß eigentlich gar nichts, gar nichts. Ich weiß auch nicht warum. Fast nichts. Wir wurden angeblich am 30. Mai um halb sieben Abends aus den Häusern geholt, ich nehm an, das war dann so bekannt gemacht und meine Mutter sagt in Fünferreihen sind wir angeblich durch die Stadt geführt worden, ich nehme an das war nicht Willkür, sondern man hat die einzelnen Leute abgeholt an den verschiedenen Stationen, ne. Also anscheinend war man die ganze Nacht unterwegs, das muss man sich vorstellen – alte Leute, kranke Leute. Das waren dann halt die ersten Leute, die auf dem Weg nach Pohrlitz [Pohořelice] liegengeblieben sind. Ich hatte auch einen … wir hatten also einen Onkel und Tante, so 78, und als mein, wir, als wir dann auch in Pohrlitz waren und meine Mutter, also ihre Tante getroffen hat, hat die gesagt: „Ich bin schon Witwe“ Also sie hat ihren Mann im Straßengraben entweder tot oder sterbend liegen lassen müssen. Und da müssen auch viele liegengeblieben sein, also man hat ja angeblich noch 10 Tage nach dem Todesmarsch den Verwesungsgeruch auf der Straße gerochen. Die wurden ja nicht begraben, die wurden einfach liegen gelassen.
Ja und mein Vater, der ist auf eine ganz interessante Weise frei gekommen, nämlich durch Jan Masaryk, dem damaligen Außenminister. Mein Vater hatte in London einen Brieffreund, einen Journalisten, und dieser Journalist hat anlässlich eines Aufenthaltes von Jan Masaryk in London mit ihm persönlich gesprochen und hat um die Freilassung meines Vaters gebeten und der hat das gemacht. Also er hats … mein Vater kam frei und bei uns gibt’s noch das Telegramm „Harald released“ Seit dem ist natürlich Jan Masaryk bei uns ein Held der Familie, klar. Was immer er war oder nicht war, aber er hat unseren Vater befreit. Mein Vater kam dann zurück, angeblich 46 Kilo schwer. Später hat er dann nie was davon gewusst … „Nein, stimmt nicht!“ oder so.
Frage:
Wann haben Sie angefangen Tschechisch zu lernen?
Antwort:
Mit 55. Das ist eindeutig zu spät. Aber meine Eltern, die konnten Tschechisch. Ich hab ja ihre Zeugnisse. Das schöne ist ja, ich hab jetzt die Zeugnisse meines Vaters eingesehen im Archiv da in Šumperk. Gut war er schon immer, aber das Tschechisch war … die hatten alle Tschechisch. Meine Mutter auch. Wahrscheinlich hatte die aber auch eine tschechische Großmutter, nur wurde … das ist nie thematisiert worden. Da hieß es nur, die Viktorka, also die Mutter der Mutter, ja Großmutter, die hat dem kleinen Kind, und das find ich wichtig, hat dem kleinen Kind mal erklärt, auf Tschechisch: „My jsme obě Moravanky, já jsem česká Moravanka a ty jsi německá Moravanka. A ted´ musíme mluvit čes .. eh .. německy, děděček přijde.“ Ich fand das so lieb. Ich weiß auch wo sie liegt und ich bedank‘ mich auch heute noch bei der Viktorka, dass sie das so … dem Kind so schön erklärt hat. Keine Gegensätzlichkeit aufgebaut, sondern „Wir sind Mährerinnen, du so und ich so.“ Ist das nicht schön? Aber sie muss Tschechin gewesen sein, klar. Und das wurde bei uns aber nie so thematisiert.
Frage:
Und in Deutschland, haben Sie sich dann als Deutsche gefühlt? Oder als Tschechin ?
Antwort:
Ah die Frage ist gut. Also, im Nachhinein ist mir klar geworden: Deutschland war für mich fremde Heimat und Tschechien ist für mich heimatliche Fremde. So hab ich das mal so, ja. Fremde Heimat, ich war also in Deutschland nie, muss ich sagen nie, ganz verwurzelt, es hat, es hat immer was gefehlt. Es war eine fremde Heimat, aber hier ist es eine heimatliche Fremde, klar von der Sprache her fremd, aber heimatlich.
Heimkehrerin - Ich konnte vollkommen unbefangen zurückkehren
Barbara Edith Breindl wurde am 6. Juli 1939 in Falkenau [Sokolov] in Mähren geboren. Anfang des Jahres 1945 übersiedelte ihre Mutter mit den insgesamt drei Kindern aus Angst vor der Roten Armee zu Verwandten nach Brünn [Brno]. Wenige Monate später wurde die Familie im Brünner Todesmarsch nach Pohrlitz [Pohořelice] vertrieben. Von dort flüchteten Sie über die österreichische Grenze nach Oberösterreich. Nachdem der Vater aus dem Krieg zurückkam, ließ sich Familie Breindl in Hannover nieder. Hier besuchte Barbara Breindl die Schule, danach trat sie einem Orden. Bei.1995 kehrte sie nach Tschechien zurück – nach Zwischenstationen mit Arbeiten für die deutschsprachige katholische Gemeinde in Dux [Duchcov] und Prag [Praha] landete sie in Brünn. Mit dieser Stadt fühlt sie sich sehr verbunden, hier lebt sie nun seit vielen Jahren. Mit 55 hat sie begonnen, sich das Tschechische autodidaktisch anzueignen.