Der Drang, endlich frei zu sein war viel, viel stärker als die Heimat zu verlieren. Wenn man älter geworden ist, ist auch das dann anders geworden.
Ernst Schmidt wurde am 18. 9. 1929 in der Stadt Hotzenplotz (tschechisch Osoblaha) geboren, die direkt an der tschechisch-oberschlesischen Grenze lag. Schmidts Vater Rudolf wurde bereits im 1. Weltkrieg als Aufklärungsflieger in Italien eingesetzt, im Dienst des K. u. K.-Militärs. Zu Beginn des 2. Weltkriegs wurde er als Hauptmann erneut zur Luftwaffe einberufen, als Leiter des militärischen Kraftfahrzeugparkes in Königsgrätz. Ernst Schmidt war in seiner Jugend, zu der Zeit des sogenannten Großdeutschen Reiches schon, Mitglied der Organisation Jungvolk (Das Jungvolk gehörte als untere Stufe zur Hitlerjugend und war für Knaben von 10 bis 14 Jahren bestimmt). Mitte März 1945 rückten die Rote Armee und das 1. tschechoslowakische Armeekorps bis an die ehemalige Grenze der Tschechoslowakei heran und damit begann die Hochphase der Ostrau-Operation. Die deutsche Bevölkerung machte sich auf die Flucht und zurück blieben nur diejenigen, die sich um ihre Bauernhöfe kümmern mussten. Ernst Schmidt gelangte bis in Königsgrätz (Hradec Kralove) und schloss sich dort seinem Vater an. Sie brachten dann mit anderen Wehrmachtsangehörigen in Richtung Westen auf. Ihr Ziel war natürlich die amerikanische Gefangenschaft und damit auch eine Aussicht auf anständige Behandlung. Ehe die zersplitterten Wehrmachtseinheiten und Zivilistengruppen unterwegs auf die Russen trafen, wurden sie abermals von Partisanengruppen und der Miliz angegriffen. Auf dem Weg in den Westen stieß die ganze Flüchtlingsschar von Soldaten und Zivilisten auf die Russen und wurde komplett gefangengenommen. Am Weg in das Gefangenenlager gerieten sie mehrmals ins Visier der tschechischen Bevölkerung, die die Situation für ihre persönliche Rache und Wut ausnutzte. Erst nachdem er in das Gefangenenlager gekommen war, wurde Ernst Schmidt von den Russen freigelassen. Sein Vater musste bleiben und kehrte aus der russischen Gefangenschaft erst im Jahr 1949 zurück. Diese vier Jahre verbrachte er auf der Halbinsel Krim als Zwangsarbeiter. Ernst kam nach Hotzenplotz zurück, ohne zu wissen, was hier auf ihn wartet. In Hotzenplotz lebten Ernst und seine Schwester Ilse einige Monate von der Hand in den Mund, bis Ernst am 30. August 1945 zur Zwangsarbeit ausgehoben wurde. Gemäß dem Präsidentendekret vom 19. 9. 1945 unterlagen der Arbeitspflicht alle Deutschen und Ungarn, denen gemäß einem anderen Dekret vom 2. 8. 1945 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Bis die planmäßige Ausweisung stattfinden konnte, mussten alle Männer von 14 bis 60 Jahren und Frauen von 15 bis 50 Jahren der Arbeitspflicht nachkommen. Welcher Arbeit man zugeteilt wurde, war Glückssache. Materielle Verpflegung und das Verhalten der Aufseher in Arbeitsmassenlagern unterschieden sich in Schmidts Fall von jenen der kommunistischen Zeit nicht allzusehr. Wann und ob er überhaupt aus der Kohlengrube in Mährisch Ostrau komme, wusste Schmidt zunächst gar nicht. Die Häftlinge bekamen keine Auskunft darüber, wann die Zwangsarbeit zu Ende gehen werde und was danach mit ihnen passieren solle. Mit der Zeit verbreiteten sich Gerüchte über die Vertreibung nach Deutschland, die allerdings nur die Angst steigerten, dass niemand seine Angehörigen jemals wiedersehen würde. Erst später drangen zu ihnen die Nachrichten durch, dass die Amerikaner die Trennung der Familien nicht zulassen würden. Ernst Schmidt erfuhr über seine Ausweisung und damit auch über das Ende seines Sklaventums erst 14 Tage vor seiner Entlassung aus dem Lager. Er kehrte in die Heimat zurück, wurde allerdings ein paar Tage später mit dem Rest der deutschen Bevölkerung auf offenen Viehwagons nach Bayern abtransportiert. Nach ziemlich schweren Anfängen in einer neuen Heimat gelang es ihm, neu Fuß zu fassen und die Schule zu Ende zu machen. Er studierte danach an der Universität München. Seine Frau Ingeborg lernte Schmidt auf einem Treffen mit den Heimatvertriebenen im Jahre 1956. Zusammen haben sie drei Kinder und leben in Eichenau bei München.