Markus Rindt

* 1967

  • Der Moment, wo diese Soldaten die Straße abgesperrt haben und wo sie auseinandergegangen sind um uns durchzulassen. In den Gesichtern der Soldaten glaubte man die Bereitschaft zu erkennen es zuzulassen, uns durchzulassen. Sie waren nicht so bedrohlich, es war wirklich eher so: „Na ja, kommt durch!“ Ein Bisschen kann ich mich daran erinnern, wie es ausgesehen hat und wie es sich angefühlt hat. Vielleicht habe sie die Straße nur symbolisch abgesperrt und eigentlich wollten sie das nicht. Sie haben uns durchgelassen und damit haben sie auch dazu beigetragen, mit genau dieser Aktion, dass dieses sozialistische System, dieser ganze Ostblock, mehr geschwächt wurde. Man hört natürlich auch immer wieder von Menschen, die geblieben sind, in Dresden oder überhaupt in der DDR: „Wir haben gekämpft, wir sind auf die Straße gegangen, wir haben die friedliche Revolution gemacht und die anderen sind abgehauen, die haben sich gedrückt, sind in die Botschaft geflohen.“ Aber wenn man es genau betrachtet, ist jedes ein Baustein gewesen. Natürlich ist es sehr wichtig gewesen, dass viele Menschen demonstriert haben und dass es Hunderttausende waren, klar. Aber alle die anderen, die geflohen sind, haben den Druck erhöht auf die Parteiführung, dass sich etwas ändern muss. Denn natürlich ist es ein Signal gewesen, dass so viele Menschen raus wollten.

  • Ich saß in der Klasse damals, und da sagte meine Klassenleiterin (ich glaube ich war vielleicht acht oder neun, in dem Alter, in Magdeburg war es noch): „Sagt mal, Kinder, habt ihr gestern Abend auch die Sendung so und so gesehen? Wo sie einfach gesagt haben, im Westfernsehen, wir hier, in unserem schönen Land, in der DDR, wir seien eingesperrt? Schaut doch mal raus! Seid ihr eingesperrt? Guckt mal aus dem Fenster!“ Und wir natürlich als Klasse: „Nee, so eine Frechheit! Natürlich sind wir nicht eingesperrt! Was? Sowas behaupten die?“ Und daran sieht man schon die Propaganda, es war schon ganz geschickt zu sagen: „Ihr seid doch frei, ihr könnt draußen herumlaufen, wir sind doch nicht eingesperrt.“ Das war in der Grundschule, später war es ein Bisschen raffinierter. Zum Beispiel, als es Diskussionen gab über Kommunismus, auch in der Staatsbürgerkunde, dann haben wir auch einmal diskutiert über Sozialismus und Kommunismus und dann habe ich die Lehrerin gefragt: „Sagen Sie, wenn wir jetzt hier Sozialismus haben, wie ist es denn mit dem Kommunismus? Wann ist denn dann Kommunismus? Wie lange dauert das denn?“ Und da meinte sie dann: „Na ja, tausend Jahre?“ Das fand ich auch schon eine bemerkenswerte Aussage. Aber es wurde ja dann auch quasi gesagt, wenn es dann viel, viel besser ist hier bei uns in dem Osten, wenn alles Kommunismus ist und allen geht es gut und alle haben gleich Viel und es geht es uns viel besser als denen im Westen, dann machen wir die Grenzen auf, dann können wir gehen und dann kommen die Menschen aus dem Westen zu uns und dann geht hier auch keiner raus, denn es geht hier viel besser. Das war dann quasi die Aussage: Ihr müsst nur ein Bisschen Geduld haben. Ich meine Tausend Jahre, das ist schon ein Bisschen zu lange.

  • Tržiště, diese Straße, die da hoch führte. Die war aber vollkommen zugestellt, da stand eine Reihe von Soldaten von links nach rechts, mit den Gewehren. Es sah sehr bedrohlich aus, es war absolut klar, dass die nicht wollen, dass man da durchgeht. Auf der anderen Seite kamen aber Massen an Menschen, die haben sich dann so richtig breit aufgestellt. Da waren da die Straßenbahnschienen zwischen dieser Straße und uns. Es kamen immer mehr Menschen, es wurde immer voller. Nicht lange standen wir da und keiner hat sich getraut, etwas zu machen, dahinzugehen. Man wusste ja nicht, ob die schießen oder was passiert. Und plötzlich ging ein Vater mit seinen zwei Kindern und seiner Frau über die Straße auf die Soldaten schnurstracks zu. Wir haben alle die Luft angehalten und geguckt, was passiert. Und dann sind die Soldaten ein ganz kleines Bisschen auseinandergegangen und haben ihn durchgelassen. Und in dem Moment, es war wirklich wie ein Startschuss, sind alle losgegangen. Die Soldaten sind einfach auseinandergegangen, haben das Spalier aufgelöst und wir sind da alle durch und diese Straße hochgelaufen, einfach der Masse gefolgt, und dachten, wir können jetzt in die Botschaft rein, aber vor der Botschaft stand eine riesige Menschenmenge.

  • Celé nahrávky
  • 1

    Praha, 12.08.2019

    (audio)
    délka: 02:10:59
    nahrávka pořízena v rámci projektu From Germany to Germany through Czechoslovakia
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Alle, die aus der DDR flüchteten, trugen zu der Wende bei

Markus Rindt mit seinem Instrument
Markus Rindt mit seinem Instrument
zdroj: pamětník

Markus Rindt wurde am 16. November 1967 in Magdeburg, in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik in eine klassische Musikerfamilie geboren – die Mutter Brigitte Ebel war Sängerin und der Vater Heinz Rindt war Geigenspieler. Der Vater kam aus dem tschechischen Obererzgebirge, als zweijähriges Kind wurde dieser mit seiner Familie in die damalige sowjetische Besatzungszone Deutschlands vertrieben. Seine Großeltern wurden nach der Vertreibung in das Gebiet an der deutsch-deutschen Grenze angesiedelt, Markus durfte sie nur mit einer speziellen, lange im Voraus beantragten Erlaubnis besuchen. Von dieser Zeit an hatte Markus die fixe Idee davon, den Eisernen Vorhang überwinden und die Grenze überqueren zu wollen. Auch die Tatsache, dass seine damalige Freundin nicht studieren durfte und die Angebote einer Zusammenarbeit mit der Stasi ablehnte, trug dazu maßgeblich bei, dass Markus emigrieren wollte. Am 3. Oktober 1989 überquerten sie schließlich zusammen die Grenze der ČSSR und DDR und gelangten so bis zur westdeutschen Botschaft in Prag, sie gehörten damit zu den letzten Geflüchteten kurz vor der Schließung der Grenze. Die Nacht verbrachten sie auf dem Marktplatz und am 4. Oktober wurde ihnen und tausenden anderen Geflüchteten die Ausreise in den Westen ermöglicht. Dort setzte er sein Studium fort und spielte im Orchester in Köln. Zusammen mit seiner westdeutschen Frau zog er im Jahr 1996 in das ostdeutsche Brandenburg und gründete das Orchester Dresdner Sinfoniker, welches er bis heute leitet. Er engagiert sich auch für politische Projekte, insbesondere gegen mentale und physische Grenzen und Mauern - zum Beispiel unterstützt er das Happening Tear Down the Wall an der amerikanisch-mexikanischen Grenze.