Johann Löffelmann

* 1939

  • Ich musste in die tschechische Schule gehen, ohne ein Wort tschechisch zu können. Ich habe noch ein Zeugnis aus dieser Zeit, schlechte Noten. Warum? Ich konnte ja nicht tschechisch. Ich musste einfach in die Schule gehen ohne tschechisch zu können und lesen schreiben und so weiter. Schlechte Noten. Die besten Noten war Sport, Musik und Zeichnen. Hat es keine deutsche Schule gegeben in Neuern zu dieser Zeit? Ab dieser Zeit nicht mehr, die letzte deutsche Schule wurde im Mai 1946 geschlossen, ab da war nur noch tschechisch. Wer waren die Mitschüler? Es waren nur Tschechen. Aber ich habe sehr schnell tschechisch gelernt, ich musste sogar, wenn man ans Amt musste, für meine Mutter dolmetschen. Also ich habe sehr schnell gelernt und so schnell, wie ich es gelernt habe, habe ich es wieder vergessen. Ich weiß noch, dass ich in Furth im Wald noch aus tschechischen Büchern gelesen und gerechnet habe.

  • Ich weiss nur, dass im Mai 48 es eine Verordnung gab, dass die Grenzen nicht bewacht werden für zirka vierzehn Tage und in dieser Zeit sind wir dann ausgesiedelt. Wir konnten alles mitnehmen, wir sind mit zwei Lastautos rausgefahren, sämtliches Hab und Gut konnte man alles mitnehmen und sind nach Neukirchen. An der Grenze wurde alles abgeladen und dann von meinem Stiefvater der Bruder, der war Steinmetz in Neukirchen und der hat uns unsere ganzen Sachen mi einem Ochsenfuhrwerk abgeholt und in Neukirchen wurde das zwischengelagert. Und von da sind wir dann ins Lager nach Furth im Wald. Zu Fuss.

  • Meine Mutter und die Schwester, nach dem Motto: drei Esser, zwei Arbeiter, mussten im Lagerhaus in Neuern Arbeit verrichten. Der Geschäftsführer sah, dass diese Arbeit für meine Schwester zu schwer war und daher musste sie aufs Land zu den verlassenen Bauernhöfen und abernten, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Äpfel. Jeden Tag wurde sie an eine andere Stelle gebracht nur mit einer Flasche Wasser und einem Stück Brot. Manchmal hatte meine Schwester grosse Angst. Bei jedem Geräusch schreckte sie zusammen. Einmal ging sie dem Geräusch nach und ging in ein verlassenes Haus und da sah sie, dass alles Mehl und Futter ausgestreut war, die Möbel kaputt gemacht worden und ab und zu löste sich eine Schranktür oder Seitenwand und das war dann das Geräusch.

  • Ich weiß noch, wie wir wieder zurückgekommen sind, dass das ganze Leiterwagen voll von deutschen Büchern und Postkarten auf den Ringplatz gebracht worden ist zum Vernichten. Und wir Kinder sind auf den Wagen aufgesprungen und haben wir irgendwelche Bücher runtergeholt. Ich habe noch zwei drei solche Bücher, auch wo ein deutscher Name drinnen steht, habe ich noch. Die sind noch in meinem Besitz und auch einige Postkarten. Es war halt für uns Kinder interessant. Die wurden dann vernichtet.

  • Wir sind einmal in Neuern spazieren gegangen, meine Mutter und meine Schwester und ich. Und da sind wir an einer Villa vorbeigekommen und da hing unser Teppich heraus an einer Teppichstange. Und durch das offene Fenster konnte meine Schwester oder meine Mutter unsere Möbel sehen. Und meine Schwester, die war gar nicht mehr zu halten, die wollte unbedingt rein und den Teppich holen. Sie sagte: „Hier ist unser Teppich, den hole ich, den hole ich!“ Und meine Mutter hat dann gesagt: „Das gehört uns nicht mehr, wir sind hier Ausländer, oder Fremde. Lass es, lass es, du wirst bloß eingesperrt.“

  • Celé nahrávky
  • 1

    Neukirchen b. Hl. Blut, Německo, 01.09.2019

    (audio)
    délka: 01:31:56
    nahrávka pořízena v rámci projektu Das vertriebene Gedächtnis des Böhmerwaldes
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Die Tschechoslowakei haben wir zweimal verlassen, nach dem Krieg habe ich in der tschechischen Schule nur mechanisch abgeschrieben

Die Kinder in Neuern nach dem Krieg (Johann mit der Axt)
Die Kinder in Neuern nach dem Krieg (Johann mit der Axt)
zdroj: pamětník

Johann Löffelmann wurde am 27. November 1939 in Neuern (Nýrsko) geboren, einer damals überwiegend deutschen Stadt. Er hatte eine sechs Jahre ältere Schwester und seine Mutter kam aus Bratislava. Den Vater kannte er nur von Fotos, denn als Wehrmachtssoldat fiel er 1942 an der russischen Front. Nach dem Krieg wurden sie nicht zwangsumgesiedelt, aber entschieden sich ihrer Verwandtschaft zu folgen, und so schlossen sie sich im November 1946 einem der letzten Transporte an. Im Flüchtlingslager in Furth im Wald verbrachten sie acht Tage, dann entschied die Mutter nicht unter den elendigen Bedingungen auszuharren, sondern nach Neuern in ihre leere Wohnung zurückzukehren. Sie erwarben das nötige Mobiliar und Arbeit, lebten in der Nachkriegsstadt weiter unter Tschechen und die Mutter heiratete einen deutschen Antifaschisten. Erst nach den Wahlen im Mai 1948 entschieden sie sich zum endgültigen Weggang. Diesmal überquerten sie die zeitweilig unbewachte Grenze mit einem voll beladenen Lastwagen, lagerten die Sachen bei Neukirchen ein und wanderten selbst zu Fuß ins Flüchtlingslager in Furth im Wald. Johann machte eine Bäckerlehre und ließ sich bei München nieder. Regelmäßige Treffen mit Zeitzeugen, Besuche seiner Geburtsstadt und das Interesse an seiner ersten Heimat sind ihm wichtig.