Oswald Kittel

* 1929

  • „Wir haben also diesen Gedanken der Verständigung aufgrund der gemeinsamen Geschichte, die wir hatten. Aufgrund der gemeinsamen Nachbarschaft, die wir mit tschechischen Familien hatten. Dass auch, wenn man schon miteinander die Verständigung sucht, dann auf Augenhöhe, also wir respektieren uns. Es hat zwar jeder sein Schicksal gehabt, seine Erfahrungen, aber das ist nicht der Grund, sich Bedingungen zu setzen. Wir sehen auf Augenhöhe, ohne Ressentiments, und machen uns keine Vorwürfe. Wir wollen die Verständigung. Und das war auch der Leitgedanke, seit 1992, wo ich in die Heimatgruppe eingestiegen bin, der Leitgedanke für die öffentliche Heimatarbeit als Heimatgruppe Böhmisch Kamnitz. Wir haben die Verständigung soweit gesucht mit den örtlichen Bürgermeistern, dass wir Heimattreffen alle zwei Jahre organisieren und wir haben die Wallfahrt wiedereingeführt.“

  • „Er konnte ja gewisse Aktivitäten in seinem Leben nachweisen für den tschechischen Staat. Er hatte ja als Rekrut den Eid, Soldateneid, auf Präsidenten Masaryk abgelegt. Und 1938, als die Generalmobilmachung war, wurde er zum tschechischen Militär wieder eingezogen. Er ist, und das hat man ihm hoch angerechnet, eingerückt. Er hat also dem Befehl vom tschechischen Staat gefolgt, aufgrund seines Soldateneides für den Masaryk. Nicht wie andere, die nach Sachsen abgehauen sind und zu dem sudetendeutschen Freikorps gegangen, also die Nazis. Und er ist, das ist eben ein Wiederspruch zu den Beneš-Dekreten, er ist nachdem Sudetenland besetzt wurde, aus der rest-tschechischen Armee mit Ehren entlassen worden. Weil er aufgrund seines Eides dem tschechischen Staat gedient hat, hat also den tschechischen Staat nicht verraten. Er ist heimgekommen und wurde in Tetschen den deutschen Militärbehörden übergeben, dort wurde er, und auch Andere, die entlassen wurden, interniert. Dort wurden sie interniert und verhört, was sie dort geleistet, gemacht haben. Weil man aber meinem Vater nichts Negatives nachweisen konnte, er war ja trubač, Kompanietrompeter, ist er entlassen worden nach Hause. Er hat in der Böhmisch-Kamnitzer Papierfabrik wieder Arbeit aufgenommen, und ist dort begrüßt worden als Verräter an der sudetendeutschen Sache, weil er nicht nach Sachsen abgehauen ist, sondern zum tschechischen Militär eingerückt ist. Er war also bereit den Staat gegen Hitler-Deutschland zu verteidigen. Aber durch die Beneš-Dekrete war er ein Verräter an dem tschechischen Staat. Wen hat er den verraten?“

  • „Ja, ich war dreimal über der Grenze. Wir hatten noch Tanten, meine Großmutter war noch daheim. Die wussten also durch „Buschfunk“ wann wir kommen und haben schon Lebensmittel zusammengestellt, die wir dann… Und bei meinem dritten Gang, auf dem Rückweg wurde ich bei Limbach, das ist ein Nachbarort, von einem tschechischen Kommissar aus der Ortschaft Líska, Hasel, gestellt. Wir kannten uns noch von Hitlers Zeiten, denn er war Milchfahrer bei uns in Kamnitz und wir kannten uns eben. So, er kannte mich und hat mich dort gestellt. Für mich aber war es jetzt… ich durfte ihm nicht in die Hände fallen, denn das wäre gefährlich für mich. Und ich habe versucht durch einen Lauf auf Leben und Tod den Wald zu erreichen um in dem Wald unterzutauchen. Und als er merkte, dass er mich nicht einholen kann, hat er auf mich geschossen. Also er war bereit mich vor dem Erreichen des Waldrandes niederzuschießen. So war die Situation. Das war der zweite Moment für mich im Leben, wo ich hätte ums Leben kommen können.“

  • „Am 14. Juli abends wurden wir, die Bürger, alle am Kamnitzer Marktplatz zusammengerufen von Národní výbor und dort wurde amtlich bekanntgemacht, dass die Ausweisung erfolgt. Und am fünfzehnten, früh um fünf Uhr war dann die dritte Ausweisungswelle, wo Partisanen, Tschechen, vom Haus zu Haus gegangen sind und die Menschen aufgefordert haben, innerhalb einer halben Stunde die Wohnungen oder das Haus zu verlassen unter Mitnahme von fünfzig Kilo sich am Sammelplatz einzufinden um dort dann wieder einmal kontrolliert zu werden, auf bestimmte Dinge, die nicht erlaubt waren. Und von dort wurden wir, also wir mit dem LKW, zur Grenze nach Sachsen transportiert, nach Hinterhelmsdorf. Und dort wurden wir abgeladen, dort waren wir vogelfrei, mit uns konnte jeder machen, was er wollte. Wir waren eben ohne Habe, ohne Eigentum. Und das war für viele eine Katastrophe.“

  • „Hitlerdeutschland bestand darauf, die Sudetendeutschen zu schützen, so dass es dann dazu kam, dass das Sudetenland an Hitlerdeutschland abgetreten wurde. Das war ein Prozess, aus unserer Sicht, der damaligen…. Man muss ehrlich sagen, das wurde von uns, auch von uns Kindern, schon begrüßt. Wir waren schon eingenommen für Deutschland. Dass Sudetenland besetzt wurde, war in der damaligen Situation auch für uns eine gewisse Befreiung vom tschechischen Staat. Es war eine generelle Hinwendung zum Deutschland. Und als der Einmarsch stattgefunden hat, wurde die deutsche Wehrmacht in Sudetenland begrüßt. Hitler selber war ja am 5. Oktober auch in Kamnitz, ich war als Schüller mit der Schulkasse mit auf dem Marktplatz. In unmittelbarer Nähe vom Rathaus, wo Hitler Halt gemacht hat, wurde er begrüßt mit den Sprüchen wie „Wir danken unserem Führer“ oder „Ein Volk, ein Reich, ein Führer.“ Das waren die Sprüchen, die da generell die Oberhand hatten und die die Masse der Bevölkerung aufgerufen hat. Das muss man schon sagen.“

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    Dresden, 16.06.2021

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Wir waren Nachbarn, wir haben eine gemeinsame Geschichte. Lasst uns Verständnis haben und lasst uns auf Augenhöhe miteinander umgehen

Oswald Kittel im Jahr 2021
Oswald Kittel im Jahr 2021
zdroj: pamětník

Oswald Kittel wurde am 14. Juni 1929 in eine deutsche Familie in Böhmisch Kamnitz (Česká Kamenice) geboren. In den Jahren 1937 bis 1938 konnte man in der Stadt die nationale Spannung spüren, dort waren Aktivisten Henleins Sudetendeutscher Partei tätig, in der Luft schwebte die Gefahr des Krieges. Die neu aufgebaute tschechoslowakische Verteidigungslinie führte ca. zehn Kilometer vom Haus der Familie Kittel, nach dem Münchner Abkommen zogen jedoch die tschechoslowakischen Soldaten ab. Oswalds Vater gehörte zu den wenigen Deutschböhmen, die dem Aufruf des tschechoslowakischen Staates zur allgemeinen Mobilisierung folgten. Dies führte zu Missvertrauen durch seine deutschen Vorgesetzten, nach dem Krieg wurde die Familie trotzdem aus der Tschechoslowakei vertrieben. Oswald Kittel hatte mehrmals die Möglichkeit in das nahe gelegene Lager Rabstein (Rabštejn), welches während des Zweiten Weltkrieges Teil des KZ Flossenbürg war und danach als Internationslager deutscher Funktionäre diente, einzublicken. In den letzten Wochen des Krieges rückte Oswald als nicht einmal sechzehnjähriger Junge zur Armee ein und beteiligte sich an den letzten Kämpfen in der Marienbader Region, wo er Verletzungen erlitt. Nach einem kurzen Aufenthalt in amerikanischer Gefangenschaft, war er Mitte Mai zurück nach Hause nach Kamnitz gewandert. Einen Monat später wurde die Familie nach Sachsen, der von der Roten Armee besetzten Region, der späteren DDR, vertrieben. An der Grenze verweilten die Vertriebenen einige Wochen und organisierten illegal Grenzüberquerungen, um Lebensmittel zu holen, Oswald wurde während einer dieser Überquerungen beinahe erschossen. Der gelernte Schuster und studierte Spezialist für Bauwesen lebte in der damaligen DDR. Seine Geburtsstadt Böhmisch Kamnitz besuchte er im Jahr 1964 zum ersten Mal nach der Vertreibung. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs engagiert er sich in Landsmannschaften und setzt den Gedanken eines gemeinsamen Dialoges zwischen Deutschen und Tschechen durch.