"Die Tage kurz davor, die Russen sind ja erst einmarschiert am 09. Mai und etwas später. Und die Amerikaner waren bis an den Stadtrand von Budweis vorgerückt, ich glaube sowas wie 20km oder so etwas. Es war sogar eine Abordnung, davon gibt es Abbildungen, die sich da dort mit den Russen vereinigt haben, aber sie sind nicht eingerückt in Budweis. Das heißt, in der Zeit war in Budweis ein rechtsfreier Raum und da ist es zu sehr starken Übergriffen gekommen, das merkte man natürlich auch, wir sind nicht mehr vor die Tür gegangen. Aber nachher, in den allerletzten Tagen vor Kriegsende; man konnte aus dem Fenster sehen, wir waren im zweiten Stock, dass da allerhand los war. Aber die wirklich schlimmen Dinge habe ich erlebt Mitte Mai, da sollten sich alle melden am Arbeitsamt in Budweis, da ist es zu Ausschreitungen gekommen und auch zu Toten, ich selber hab auch was abbekommen. Aus dem Balkon konnte man nur Leute sehen die marschierten. Wir haben einen Einmarsch gesehen, wo ich dachte, das wären Engländer. Ich weiß heute, dass diese Stahlhelmer, die die Engländer hatten, die haben auch andere benutzt, auch tschechische Freiwillige. Da war nichts zu sehen, das war im Stadtzentrum, diese Aufforderung, sich zu registrieren. Und wir bekamen die weiße Armbinde mit dem „N“, das war bekannt. Und da sind auch viele zu Tode gekommen, ich habe auch gesehen, wie jemand aus dem Fenster gesprungen ist in der Innenstadt, und habe einen auf die Nase gekriegt mit einem Gewehrkolben von irgendjemandem, ich habe mir den nicht so genau angeguckt, ich war etwas benommen."
"Dann fuhren wir durch die Gegend von Melck in Güterwagen oder Viehwagen, die durchgeteilt waren: Unten wurde das Gepäck reingeschoben, oben waren die Leute drin, zwischen 20 und 30, und damit fuhr man durch die Gegend. Es war natürlich keine Toilette da, wenn man sich also erleichtern wollte; ein Knabe wie ich machte das mit Werf, aber wenn jemand etwas größer wollte, dann mussten ihn zwei festhalten. Manchmal hielt er lange und die Leute sprangen runter, mussten aber aufpassen, dass er nicht weiterfuhr. Wir fuhren über die Enz und wurden dort von den Russen den Amerikanern übergeben, da war die Zonengrenze, in Linz bekamen wir mitten in der Nacht eine tolle Suppe, an die ich mich immer noch erinnere. Dann fuhren wir nach Passau und auf der ganzen Reise bin ich fünfmal entlaust wurden. Die Russen waren nicht so gründlich, die schüttelten ein bisschen Läusepulver in den Hals und das war´s. Aber in Passau habe ich dann eine Szene erlebt: Wir wurden aufgefordert in einen Raum zu kommen, da mussten wir uns ausziehen. Ich war als Knabe unter zehn, die, die bei den Müttern blieben. Wir standen da in einer langen, nackten Reihe und auf einmal lief das Gerücht, die Tür war am Ende, dass wir jetzt alle erschossen werden. Es brach eine Panik aus, die amerikanischen Soldaten mussten Ruhe reinbringen. Dann kamen wir durch die Tür und da standen drei Figuren, die waren gekleidet wie der Klu-Klux-Klan, die hatten Schutzanzüge, auch über den Kopf, hatten Spritzen in der Hand, aus denen sie DDT oder was immer es war, uns zur Entlausung schickten, das war ein sehr eindrückliches Erlebnis. Und dann fuhren wir über Plalting, München, Augsburg, mehrere Tage, es wurde immer gehalten und übernachtet, bis Schwäbisch Gmünd in Württemberg und dort wurden wir erstmal in Quarantäne gesteckt. In dem Transport war Diphterie ausgebrochen."
"Ich bin zum Beispiel ein Mal ausgebüchst, da muss ich vier gewesen sein, zwischen vier und fünf, und immer um den großen Ringplatz gelaufen und habe „Heil Hitler!“ gegrüßt und ich wusste, dass wenn ich den Arm hebe, muss das der andere auch machen. Das hat man meiner Mutter hinterbracht und sie hat mich dann weggeholt und musste mir erklären, dass ich das nicht tun soll. Ich konnte ja rumgehen und erzählen „meine Mutter mag den Führer nicht.“ Das selbe ist mir auch passiert im Kindergarten. Ich war im Kindergarten der NSV, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, und da wurde ich ausgesucht: Wir kriegten zwei Schildkröten geschenkt. Ich wurde ausgesucht, ich soll denen Namen verpassen. Was erwartet wurde, war natürlich „Max“ und „Moritz“ oder sowas, so hießen sie zum Schluss auch. Und ich dachte kurz nach und wählte dann das, was mir am Teuersten und Liebsten war auf der Welt – „Adolf Hitler“ und „Hermann Göring“. Das wurde mir vorsichtig, sehr vorsichtig ausgeredet."
Wir wurden aus der Tschechoslowakei als auch aus Österreich vertrieben. Aber ich schätze meinen Doktortitel der Universität von Budweis sehr.
Peter Johanek wurde am 28.08.1937 in Prag geboren in eien deutsche Familie mit tschechischen Wurzeln. Seine Heimatstadt war aber Budweis, wo er seine Kindheit und den Krieg, erlebte. Er erinnert sich an politische NS-Ideologie in der Schule, wie auch an die nahezu gesetzeslosen, gewaltvollen Zustände nach Kriegsende. Mitte Mai 1945 wurde Peter aus zunächst seinem Familienheim, einige Monate später dann aus der Stadt und dem Land vertrieben. Zur gleichen Zeit wurde Peters Vater aus der amerikanischen Haft entlassen und begann sich in Lippe-Westfalen, damalige britische Zone, niederzulassen. Zu ihm gesellte sich die Familie im August 1946. In Westfalen angekommen, beschloss Peter sich in seinem Studium an der Universität Würzburg seiner Wahlheimat Westfalen zu widmen. Dies tat er nach erfolgreicher Promotion und Habilitation bis 2002 auch beruflich an der Universität Münster, an der er die Professur für Westfälische Geschichte inne hatte. In seiner Studien- und Dozentenzeit unternahm er einige Reisen nach Tschechien, unter anderem auch nach Budweis, zwanzig Jahre nachdem er ausgesiedelt wurde. Dabei erlebte er nicht nur die Umbruchzeit in Prag 1968 mit, sondern auch die späteren Umbruchsentwicklungen in Deutschland in den 1989/90. Einen symbolischen Heimkehr-Moment bekam er zuletzt 2004, als die Universität Budweis ihm den Ehrendoktortitel verlieh.
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