"Im Nachhinein, als ich fast dreißig Jahre alte war, habe ich verstanden, warum wir nie, weder von meinem Stiefvater, noch von meiner Mutter jemals nach Hause, nach Böhmen mitgenommen worden sind. Es gab keine Urlaubsreise, kein Wochenendausflug, niemals ist man nach Böhmen gefahren. Das gab es nicht. Wir hatten es nur aus Erzählungen gekannt. Die tollen Walder, die tollen Felder. Alles war besser in Böhmen, die Sonne hat besser geschienen und der Mond war weniger kalt, usw., usw., usw. Wir habe dann irgendwann in der Pubertät gesagt - ach, die spinnen, das kann ja nicht so gewesen sein. Es is einfach das Trauma, die Sehnsucht und Heimweh, das die Eltern so übertreiben lasst. Wie mein Bruder und ich das erste Mal, nach der Wende in 1989 zurückgegangen sind nach Böhmen, sind uns die Augen rausgefallen. Denn die Walder waren wirklich grösser, die Bäume waren wirklich höher, die Felder waren wirklich gelber. Und die Pracht der Natur Mährens und Böhmens haben wir erst dann als Realität empfunden. Vorher haben wir es nicht geglaubt gehabt. Und warum konnten wir nicht während der gesamten kommunistischen Zeit nie hinüberfahren mit meinen Eltern? Auch das haben wir erst danach erkannt. Weil sie aufgrund ihrer Schmuggeltätigkeit sofort verhaftet worden wären. Die KGB hat auf der Grenze auf sie gewartet. Das hat man uns natürlich nicht gesagt, damit wir es nicht wissen. Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. Wir hatten nicht erpresst werden können. Weil wir wussten ja gar nicht, dass die Eltern geschmuggelt haben. Wenn da Pakete waren mit Kleidern, die irgendwo geschickt worden sind, dann waren es halt irgendwelche Arme, die was gebraucht haben. Aber dass das über eine Grenze ging über die es nicht hätte gehen sollen... Bibeln. Ja, die Bibeln waren da, das wusste ich allerdings schon, dass die geschmuggelt wurden. Relativ blad. Natürlich Medikamente, die Medikamentenaktionen haben bei uns begonnen, zuerst nur mit Vitaminen für den Vaclav Havel, wenn er im Gefängnis war, für den Dominik Duka, wenn er im Gefängnis war. Und dann ist es institutionalisiert worden, und auch die Klöster und die Pfarren und andere Gemeinden haben dann Medikamente geschickt bekommen, weil einfach zu wenig da war, vor allem nach der 68-er Revolution. Und diese Aktion gibt es immer noch und heißt St. Lukas."