Das war das fünfte Jahr und in der Bürgerschule dann war der Umsturz. Also mussten wir aufhören, da war sowieso lauter Fliegeralarm, da waren wir mehr im Keller als wie in der Schule (lacht). No, und dann sind die Tschechen gekommen, also wir Deutschen mussten hinaus … mussten hinaus – wir sollten hinaus. Meinen Vater haben sie nicht fortgelassen, weil der war in der Fabrik, musste erst die Tschechen bissel anlernen, ja. No, uns haben sie daheim hinausgeschmissen aus dem Haus, da haben wir nach dem Vater geschickt, aber die haben ihn wieder nicht fortgelassen. Also die haben drinnen schon ausgeraubt, und wir mussten dann wieder, konnten dann wieder hinein ins Haus.
No, aber wir durften nicht zur Schule gehen, 1945, ja dann. Also mussten wir … zwei Jahre waren wir zuhause. Und dann mussten wir in die tschechische Schule gehen und haben aber kein Wort verstanden. Wir haben nichts gewusst (lacht). War ma wie … ich konnt a ka … rechnen konnte ich, weil das waren dieselben Ziffern, aber schreiben, oder verstehen…
Najo, das kann ich dir sagen – das hat ziemlich a Weile gedauert. Ich war dann noch im Laden. Wenn ma haben verkauft, wenn ich im Laden war und is ein Kunde gekommen – wir haben allerhand verkauft da, egal was war – und da hab ich manches noch nicht verstanden. Dann bin ich immer naus gangen, bin hinter gangen, weil wir das Magazin hatten, bin ich immer nach vorne kommen und hab gesagt: „Nemáme!“ (lacht) Aber wenns der Chef hätte gehört, der hätte mich runtergeputzt! (lacht) Aber das war da immer dann gut gemerkt.
Weil da war, waßt, von der Frau Steska die Tochter. Und da samma immer, die is a immer mit in die Schule gegangen auf Wernsdorf, nunter, no und die hat a bissl Deutsch verstanden, net viel … aber. Und da samma immer heimgangen aus der Schul, hat sie immer gesagt: „Ich muss nádobí waschen!“ Und ich bin heimkommen und hab gsagt meiner Mutter: „Du, Mama, bei den Steska tun sie jeden Tag die Möbeln waschen!“ Hat sie gesagt: „Geh nein, die sind doch gar nicht so sauber.“ Anstatt nádobí hab ich nábytek … waßt. Zur Zeit hab ich immer alles vermacht. Hab ich noch immer der Mama gesagt: „Die tun jeden Tag, wir tun sie bloß am Sonnabend waschen, die tuns jeden Tag waschen.“ (lacht)
Naja, dann nach und nach, dann bin ich ja noch zwei Jahre, wenn ich immer im Laden gelernt, bin ich noch zwei Jahre in die Schule gegangen, na dann habe ich es schon ein bissl gekennt.
Die [Enkelin Ines] haben wir auch Deutsch aufgezogen (lacht). Da hab ich extra das deutsche Fernsehen … die Ines hat immer geschimpft: „Ich komm in die Schule und die haben alle auf einen Film geguckt und ich weiß nix! Ich muss am deutschen Fernsehen gucken!“ (lacht) Na, aber jetzt ist sie froh, dass sie es kann. Mehr nach der Schrift und alles, die Ausdrücke, net, was ma da haben, net. Die kanns besser als wie ich (lacht).
Und da waren keine Probleme mehr, dass die Ines Deutsch lernt?
Da waren keine Probleme mehr, aber die Ines am Anfang hat sie immer gesagt, wenn wir sind in die Stadt gangen: „Oma tun wir nicht Deutsch reden!“ Hat sie sich ein bissl … aber auf uns hat sie kein tschechisches Wort gesagt. Da ist immer die Tschechin hergekommen, die Kučerová, waßt. Hat sie gesagt: „Wieso redet die nicht Tschechisch wenn ich da bin?“ Aber die [Enkelin Ines] hat ja auf uns immer Deutsch geredet. Aber die [Frau Kučerová] hats eben net verstanden. Und da hat sie am End gedenkt, die redet schlecht oder was … aber waren wir schon so gewöhnt, na.
Annemarie Goschala wurde am 5. November 1934 in Wernsdorf [Vernéřov] bei geboren. Die Kriegsjahre waren für die Familie nicht leicht: Der Vater wurde an die Front einberufen, die Mutter musste sich zu Hause allein um die Kinder kümmern. Nach dem Ende des Krieges musste die Familie in der Tschechoslowakei bleiben, denn der Vater wurde als Facharbeiter gebraucht. Obwohl der Vater Antifaschist war, wurde das Haus konfisziert, die Familie wohnte von da an im ehemals eigenen Haus zur Miete. Nach dem Krieg durfte Annemarie Goschala zwei Jahre lang nicht zur Schule gehen - ohne Tschechischkenntnisse war zu dieser Zeit selbst das Einkaufen von Lebensmitteln ein Problem. Als sie dann in die tschechische Schule kam, sprach sie immer noch kein Tschechisch, und es dauerte lang, bis sie sich einigermaßen gut verständigen konnte. Nach der Schule begann sie eine Lehre in einem Kaufladen. 1953 bekam sie automatisch die tschechische Staatsbürgerschaft. Frau Goschala heiratete einen deutschen Mann, die Kinder wurden deutsch aufgezogen. Die Familie ließ sich in Kralup [Kralupy] nieder. Zweimal war Annemarie Goschala gezwungen, umzuziehen. Kralup wurde im Jahre 1976 niedergerissen, sie zog mit ihrer Familie nach Wernsdorf. Aber auch dieses Dorf wurde 1989 dem Erdboden gleichgemacht, das dort geplante Bauvorhaben wurde jedoch nach der Wende nie realisiert. Nach dem Tod ihres Mannes zog Annemarie Goschala zu ihrer Mutter nach Komotau [Chomutov].
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