"Dann konnten wir wieder, wenn die Russen weg waren, ins Haus zurück. Wieder hinein in die Stube, meine Oma hat wieder geputzt, und wir haben wieder geschlafen in Betten. Aber das war dann nicht sehr lange. Am Vormittag einmal, vielleicht um zehn Uhr, kommt auf einmal großes Geschrei. Mein Opa sagt – um Gottes Willen, es kommen so viele Leute mit Armbinden, mit solchen Binden und mit Knüppel und rütteln an den Häuser und schlagen in die Türen ein und kamen auch bei uns. Und sie haben die Türen gerüttelt und kamen rein. Es kamen so viele Tschechen. Was wollen die? Tschechisch verstanden wir nur - sofort hinaus, sofort hinaus! Und dann hat er aufgemacht die Tür und sie sind hereingekommen und ich weiß es nur als Kind. Sofort aus dem Haus hinaus, bei der Kirche hinauflaufen. Und nur was wir am Leibe hatten. Es war Mai. Wir hatten nur dünne Kleidung an, es war warme Jahreszeit. Und meine Oma lief in den Speis, früher hatte man keinen Kühlschrank, Gänseleber uns solche Sachen waren alle in diesen Schmalzkannen, meine Oma läuft und holt eine Kanne mit Schmalz mit Gänsebraten drinnen und mein Großvater läuft und holt Wintermantel und legt ihn auf Tisch. Und die Tschechen geben ihm widere einen Schlag – Schluss! Und dann wollte er eine Silberuhr nehmen, die nahm der Tscheche gleich weg. Es gab sowieso nicht viele Uhren, denn die Russen haben die von allen Menschen schon gesammelt. Die Russen hatten zehn Uhr auf einer Hand. Und meine Mutter rennt in dieses schwarze Haus mit kein Licht und wollte Anzug für Papa, wenn er aus dem Krieg kommt. Mein Mann hat keinen Anzug! Und dann hat der Tscheche gesagt – er braucht keinen Anzug mehr. Er kann auch nackt aufgehängt werden. Alle Deutschen werden nackt aufgehängt."
"Erste Weihnachten war die schrecklichste Weihnachten für uns. Die erste Weihnachten 1945, da waren wir in Wetzelsdorf, da waren wir zehn Leute, da waren wir noch mit den Großeltern zusammen. Es waren trotzdem schöne Weihnachten, es waren unsere letzte zusammen. Da hatten wir zwei Zimmer bei der Frau Haas, das war in Wetzelsdorf, ihr Mann ist im Krieg geblieben, sie hat uns aufgenommen. Da war auch eine Frau aus Brünn, sie hat immer gebastelt und wir hatten einen Baum, einen Christbaum, und da war Schmuck in diesen bunten Papieren. Mein Bruder und ich haben uns so gefreut, aber es waren nur Brotstücke drin, es war kein einziges Zuckerstück drin. Und wir sind dann zum Depot gelaufen in Poysdorf und meine Mutter meinte - es kommt der erste Winter, wir haben nichts. Ein einziger Handschuh hatte fünf oder sechs Farben, jeder Finger war unterschiedlich. Was für die Soldaten gesammelt worden ist, das haben wir dann geholt und haben den Faden geholt und haben dann was gestrickt. Das waren die ersten Weihnachten."
"Die ganze Zeit unter Hitler ist nicht ein Mal aus Rakwiz jemand gekommen, hat bei uns Radau gemacht, oder jemand aus Prittlach nach Rakwiz gegangen und hat Radau gemacht – das war eine ruhige Grenze. In Rakwiz war die Zugstation und dann sind wir zum Zug gegangen, durch Lundenburg gefahren oder nach Brünn hinauf. Ich weiß es nicht, als Kind, ich sollte in die Hauptschule gehen entweder nach Mikulov oder nach Breclav, aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Es war damals so, wir müssten alle grüßen mit „Heil Hitler, heil Hitler“, und weil meine Mutter damals so behandelt worden ist, ich bin hinter die letzte Ecke gegangen, wenn ich diese Menschen, Bürgermeister oder was, gesehen, damit ich nicht grüßen muss. Das war so das kleine Mädchen, das gesehen hat, es gibt irgendwo Spannungen. Und wir hatten Volksempfänger, das waren so kleine Radios, und jedes Haus – alles war noch nicht elektrifiziert im Ort – aber jedes Haus hatte diesen kleinen Volksempfänger und da waren halt jeden Tag Nachrichten und was ist. Jetzt ist Ukraine-Krieg und ich hab schon gesagt, die Menschen, die den Krieg noch mitgemacht haben damals, die sind traumatisiert, die schalten bei Ukraine-Krieg auf Null im Fernsehen, weil das ist zu belastend, da kann man nicht schlafen dann, wenn man das hört."
Die heimatvertriebenen Menschen sollen nicht auch noch aus der Geschichte vertrieben werden
Brunhilde Dörer, geb. Nimmerrichter, wurde am 4. März 1936 in Prittlach (tsch. Přítluky) in Südmähren geboren. Als Tochter eines wienerischen Vaters und einer sudetendeutschen Mutter mit tschechischen Wurzeln musste Brunhilde von klein auf für beide Heimaten in ihrem Herzen Platz machen. Während des zweiten Weltkrieges war ihr Vater in Frankreich und Ungarn stationiert und Brunhilde lebte mit ihrer Familie mütterlicherseits im deutsch-sprachigen Prittlach. Nach dem Kriegsende fürchteten sich alle Bewohner:innen vor der sowjetischen Besatzung, Mitte Mai 1945 wurde die Familie Nimmerichter und der Rest der deutschsprachigen Bevölkerung Prittlachs nicht nur einmal, sondern zweimal nach Österreich vertrieben. In den nächsten zehn Jahren zog die Familie in mehrere Sammellager und Dörfer in Niederösterreich und Oberösterreich. Auch wenn sie von Glück sprechen konnte, dass sie nicht von den Zwangsausweisungen nach Deutschland betroffen waren, so erwartete Brunhilde und ihrer Familie hier Elend, Hunger und Instabilität. Es dauerte lange, bis sich Brundhilde in ihrer zweiten Heimat akzeptiert fühlen konnte. Prittlach konnte sie das erste Mal nach der Aussiedlung erst im Jahre 1968 während des Prager Frühlings besuchen. Brunhilde Dörer lebt heute in der Nähe von Linz.
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