Ich weiss nicht, ob Ihnen ein Begriff ist Josef Holub, der Schriftsteller der Deutschen Literatur. Das ist mein leiblicher Vetter. Dem ist gelungen von der italienischen Gefangenschaft zu flüchten und ist vor Kriegsende einige Wochen oder Monate ohne Papiere, ohne Geld, ohne Alles endlich nach Hause gekommen. Zu Fuß. Und so mussten den die Eltern verstecken. Und da als er schon sah, die haben keine Lebensmittel mehr und kein Geld und nichts, da kam ein Bekannter (er sagte, dass war sein Cousin, aber das glaube ich nicht). Und er hat eben ihm ein Angebot gemacht, wir gehen schmuggeln, wir gehen Sachen raustragen für gutes Geld. Da war ein Versteck irgendwo in einer Scheune hinter Neuern da kamen die Leute hin, gaben ihre Sachen weg, besprachen mit denen, mit dem einen, mit Josef nicht, aber mit dem anderen. Besprachen sie die den Transport und die beiden trugen das auf dem Rücken nach den Herrnhöfen.
Gleich am Sommeranfang wurden die Massengräber ausgegraben. Hier in Neuern durchzog ein Zug mit Gefangenen aus den Konzentrationslagern und die Toten wurden rausgeschmissen oder es wurde viel gemordet schon unter den Leuten. Sie waren in Massengräbern und alle deutschen Männer haben Befehl bekommen, um so und so viel Uhr mussten die am Ort und Stelle sein, mit Schaufeln und mussten die Gräber öffnen und die Leichen säubern. Und mein Vater sagte, dass viele geschlagen wurden, ziemlich brutal. Da war ein Ereignis, das konnte er lange nicht bewältigen. Ein Mensch war durstig und hatte die Bemerkung ausgesprochen, er habe Durst. Es wurde ihm angeboten, in den Gruben ist genügend Wasser, er kann sich bedienen. Da kam mein Vater nach Hause total krank und erschöpft. Das war eines von den schlimmsten Ereignissen.
Aber in Neuern war es nicht so ruhig, weil in ganz kurzer Zeit kamen solche komische merkwürdige Gruppen, die hatten rote Binden, da war „RG“ drauf (Rudá garda – in der Tat nannten sie scih Revolutionsgarden), und die haben schreckliche, unschöne Sachen getrieben. Die haben die Leute geschlagen, haben Häuser geraubt und ich weiß das wirklich, weil wir wohnten in einem Doppelhaus und die Hälfte Deutsche, die sind selbst früher über die Grenze gegangen. So hörten wir nachts oft Geräusche, wie die das Haus durchsucht haben und wie die alle die Sachen, was ihnen gefallen haben, weg schufen. Und so war das in allen den Häusern dann, die schon leer waren.
Der Eiserne Vorhang führte direkt hinter unserem Haus entlang
Karolina Čermáková wurde am 15. April 1934 in Neuern (Nýrsko) im Böhmerwald geboren. Sie wuchs in einer zweisprachigen Familie auf, die Mutter sprach tschechisch, der Vater deutsch. Der Vater Alois Holub war deutscher Nationalität und arbeitete in einer Optikfabrik, die Mutter war Hausfrau. Nach dem Münchener Abkommen musste der Vater die Mutter überreden, dass sie mit ihm in Neuern blieb, während sie ihn nach dem Krieg davon abhalten musste, nach Deutschland umzusiedeln. Die engste Familie von Frau Karolina wurde nicht vertrieben, von der weiteren deutschen Familie musste sich sich aber verabschieden. Nach dem Krieg durfte der Vater als Deutscher nur unqualifizierte Arbeit zum niedrigsten Lohn verrichten. Im Leben der Eltern spielte die Religion eine wichtige Rolle. Nach dem Abitur arbeitete Karolina zwei Jahre in der Bank und heiratete dann den Techniker František Čermák. Vom kommunistischen Regime wurden die Eheleute als Feinde betrachtet, weil sie persönliche und schriftliche Kontakte in den Westen pflegten. Der Eiserne Vorhang führte direkt hinter dem Haus der Familie Čermák entlang. Als er fiel, feierte man nach und nach an allen Grenzübergängen und Karolina dolmetschte bei vielen dieser Aktionen. Im April 1990 ging Frau Čermáková in Rente. Sie selbst nimmt sich weder als Tschechin noch als Deutsche wahr.
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